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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die Wunder der modernen Wissenschaft und das ganze Zeug, daß die Patienten davor eine gewisse Ehrfurcht empfinden und so weiter. Zeig ihn ein bißchen herum. Ich glaube, das würde uns keineswegs schaden – wenn du verstehst, was ich meine.»
     
    Die Tür geht auf und wirft diffuses Licht in die kleine Kammer. Herein kommt Quiddle. Ein Tablett in der Hand. Zinnbecher, goldbraunes knuspriges Brot. Eine dampfende Terrine. «Aha, sind wir schon wach, ja?» stellt er mit munterer, dröhnender Stimme fest, so wie man laut im Dunkeln pfeift.
    Ned Rise liegt auf einem Strohsack in der Ecke, eine schmutzige Decke bis zum Hals heraufgezogen. Die Kammer ist feucht und fensterlos: Lehmwände, Ziegelboden, rohe Kiefernbohlen an der Decke. Ein Keller, keine Frage, grob und provisorisch, aber doch nicht ohne Komfort: ein Waschbecken und eine Schüssel mit Wasser, ein in die Wand eingelassener offener Kamin, ein Eimer Kohlen, ein Spiegel. Neben der Tür ein wackliges Regal mit Kleidern darauf und ein umgekippter Einkaufskorb, aus dem Bücher hervorquellen (medizinische Werke und religiöse Traktate), dazu der Abfall des Alltags: Apfelgriebse, Käserinden, Tabakkrümel, abgebrannte Kerzenstummel. Auf die hintere Wand hat jemand ein Fenster gemalt und ein paar Fetzen fleckigen gelben Vorhangstoff drum herum drapiert.
    «Na, wie geht’s dir jetzt?» ruft Quiddle, betritt zaghaft die Kammer und geht auf das Tischchen am Fußende des Bettes zu.
    Ned antwortet nicht. Er bleibt reglos liegen, unrasiert. das Haar verfilzt, die rote Schürfwunde des Stricks glüht wie ein Vorwurf an seinem Hals. Seine Blicke wie Dolche.
    Quiddle setzt das Tablett mit athletischer Bewegung ab und springt sofort ein paar Schritte zurück, bleibt auf Distanz, wachsam, jederzeit fluchtbereit. Er faltet die Hände hinter dem Rücken. «Heheh», macht er. «Hör mal, du bist dir doch bewußt, wo du bist und so, oder? Ich meine, das ist hier nicht der Himmel oder sonstwas. Du hast es lebend überstanden. Das Aufhängen meine ich.» Er sieht auf seine Schuhe hinab. «Was ich sagen will, du lebst, Mann – du bist genauso lebendig wie der König selber!» Er endet mit einem nervösen Lachen, als hätte er gerade im Wirtshaus einen Witz erzählt.
    Ned antwortet nicht. Er weiß genau, was geschehen ist. Immerhin hatte er fast anderthalb Tage Zeit, sich darüber klarzuwerden, es auszukosten, die ganze Skala der Emotionen entlangzufahren, von der anfänglichen Verwirrung über die religiöse Ekstase bis zum reinen animalischen Glücksgefühl. Außerdem hat er die Unterhaltung im Korridor belauscht.
    «Also – wenn dir jetzt noch nicht nach Sprechen zumute ist   …»
    Neds Blick fixiert Quiddles schwitzendes Gesicht. Seit sein Wohltäter den Raum betreten hat, strengt er sich an, nicht zu blinzeln. Und das ist sehr anstrengend. Vor allem weil er halb verhungert ist. Der Duft der Rinderbrühe oder Ochsenschwanzsuppe oder was immer es sein mag hat eine ganze Kompanie unwillkürlicher Reaktionen in Marsch gesetzt: in der Magengrube grummelt es hohl, Lippen schürzen sich, Speicheldrüsen schütten ihren Saft aus. Aber er will aus der Situation alles herausholen.
    «Ich versteh das schon», sagt Quiddle und geht rückwärts zur Tür. «Es muß sehr schwer für dich sein. Ruh dich erst mal aus. Alles ist gut jetzt. In ein paar Tagen haben wir dich wieder auf den Beinen, und dann kannst du dein Leben noch mal von vorn anfangen, alles hinter dir lassen, neue Freundschaften schließen, neue   …» Seine Stimme ist zum Flüstern geworden, tröstend und mütterlich.
    Im nächsten Moment schließt sich die Tür, und Ned fällt über das Tablett her wie ein Wolfsrudel.
     
    In den nächsten Tagen wird Ned im weißen Nachthemd durchs Krankenhaus geführt, nickt den Siechen und Sterbenden zu, legt verkrüppelten Kindern die Hände auf, läßt geduldig die tastenden Finger erstaunter Chirurgen, Internisten und Studenten über sich ergehen. Der Schnitt im Bein schmerzt wie rasend, und sein Hals fühlt sich an, als wäre er aus den Gelenken gedreht, aber Quiddle hat ihm eine Flasche Laudanumtinktur beschafft, und ein Friseur war auch da, um ihn zu rasieren und sein Haar zu pudern. Ned weiß, was von ihm erwartet wird. Er hinkt durch die Gänge wie ein verwundeter Seraph, die Halswunde geschickt unter einer weißen Krawatte verborgen, in den Augen ein glühender, messianischer Blick. Spricht man ihn an, so dreht er sich um und deutet kummervoll mit dem Finger auf seine

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