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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Arme stürzen werde.
    Stell Dir vor, geliebte Freundin und baldige Ehefrau: Sobald dieses kleinere Hindernis aus dem Weg geräumt, werden wir auf immer zusammen sein. Zumindest solange ich bei Dir in Fowlshiels bin, um am Manuskript meines Buches zu arbeiten, das den Titel «Reisen ins Innere Afrikas, 1795   –   1797» tragen wird. Ist das nicht aufregend? Zuviel, allzuviel? Ich und ein Schriftsteller!
    Aber natürlich sieche ich dahin, bis ich Dich wieder berühren kann.
     
    Dein Dich liebender, u. s. w.
    Mungo
     
    In wenigen Monaten? Aber sie wartet ja schon eine Ewigkeit. Geplagt und belagert hat sie die halbe Welt abgewimmelt, aus Vertrauen in ihn. Und jetzt ist er zu beschäftigt, um zu ihr zu kommen? Hat zuviel mit seinem Buch zu tun, um für eine Woche nach Selkirk raufzufahren und ihr zu sagen, daß sie ihm ebenso gefehlt hat, wie sie ihn schmerzlich und im Innersten vermißt hat? Angewidert zerknüllt sie den Brief und ist auf einmal von Reue erfüllt über das, was sie Georgie Gleg angetan hat. Es trifft sie wie eine Offenbarung: der arme Georgie, der muß sich genauso verletzt und verwirrt gefühlt haben wie ich jetzt.
    Doch das ist eine andere Geschichte.

GLEGS GESCHICHTE (EIN BÖSES OMEN VON ANFANG AN)
    Georgie Gleg wurde in Galashiels als zweiter Sohn des Gutsherrn geboren. Als seine Mutter in den Wehen lag, senkte sich ein Goldadler aus dem Nebel herab, flatterte ein paarmal mit den großen düsteren Schwingen und ließ sich federleicht auf der Wetterfahne über dem Haus der Glegs nieder. Die Nachbarn staunten. Aus den Geschäften und von den Feldern kamen die Leute auf den Hof gerannt und starrten zu dem Vogel hinauf.
    «Es ist ein Zeichen», befand jemand.
    «Klar», sagte der nächste, «aber ein gutes oder ein böses?»
    Eine Debatte entspann sich, direkt vor den Fenstern des Gutshauses, während Georgies Mutter vor Schmerzen aufschrie und der Adler sich in aller Ruhe das Gefieder putzte, als säße er hoch oben in seinem Horst.
    «Da ist Satans eigne Hand im Spiel, ich sag’s euch», beharrte ein Mann mit zu großem Hut.
    «Du bist doch ein dummer Schwätzer», konterte ein anderer. «Es ist eine Segnung des Himmels, genau das isses.»
    Fast auf der Stelle ging man zu den Fäusten über. Frauen kreischten, Pferde wieherten, jemand brach einer Whiskyflasche den Hals. Schon bildeten sich Parteien, und es zeichnete sich ab, daß die Kontroverse in eine Massenschlägerei ausarten würde, als David Linlithgow der Sache ein Ende machte. Er hob die Muskete und schoß mit einem Krach von Feuer und Qualm dem Vogel den Kopf ab. Zuckend taumelte der riesige gefiederte Torso vornüber und tränkte die Dachziegel mit seinem Blut.
    Die Menge verstummte, und die Boxkämpfer hielten ihre Schläge zurück. Im oberen Stockwerk ertönte, dünn und schrill wie eine billige Trillerpfeife, die Stimme Georgie Glegs zum erstenmal auf Erden.
     
    Falls es irgendwelche Zweifel über die Bedeutung der Vorfälle rund um Glegs Geburt gegeben haben mochte, so wurden diese unmißverständlich zerstreut, als er heranwuchs. Ohne Frage war das Erscheinen des großen Vogels ein böses Omen gewesen, der Mord an ihm eine Katastrophe: das Unheil hockte dem Jungen auf der Schulter wie ein geflügeltes Gespenst. Als er sechs war, wurde sein Vater bei einem Jagdunfall getötet und seine Schwester Effie – der Schatz der Familie – von Zigeunern gekidnappt und an einen Baum im Wald hinter der nördlichen Weide genagelt. Milzbrand dezimierte in jenem Jahr die Herden, und drei der fünf Kühe gaben keine Milch mehr. Die Hennen begannen unerklärlicherweise Eier ohne Eigelb zu legen. In der Scheune brach ein Feuer aus. Hagelschloßen, so groß wie Kröpfe, machten die Weizenernte zunichte, und Georgies älterer Bruder wurde vom Blitz erschlagen. Der arme Simon. Sie fanden ihn draußen im Heidekraut liegen, schlaff wie eines jener knochenlosen Weichtiere, die an den Strand gespült werden.
    Zwei Jahre danach heiratete Georgies Mutter wieder. Tyrone Quaggus, der neue Mann im Haus, war ein fanatischerSpieler. Tontaubenschießen, Teetrinken, ein Spaziergang im Garten – jede menschliche Betätigung bot ihm Gelegenheit zum Wetten. Ich wette, Sie schaffen’s nicht, zwanzig Tassen Tee in einer halben Stunde zu kippen, Herr Vikar, schlug er zum Beispiel vor. Zehn Pfund darauf, daß ich in zwei Minuten einmal rund um den Garten laufen kann. Siehst du den Eichelhäher da in der Hecke? Zehn zu fünf, daß er vor zwölf Uhr hier an der

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