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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Murmeln, Mungo kaute auf einer kalten Kartoffel herum, Colin wärmte sich einen Brotkanten über dem Feuer. Verstohlen beobachteten alle Tullochgorm.
    Der Schulmeister hatte seinen Stuhl zur Seitenwand gedreht. Er hatte die Rute weggelegt – für dreißig Minuten jedenfalls – und war längst dabei, die Szenerie ringsherum im Geiste auszusperren, hatte die Schiefertafel, den tristen Raum, die ungewaschenen Gesichter der Jungen schon vergessen. Ein Buch lag aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch –
Bellum Grammaticale
–, und abwechselnd überflog er den Text, massierte sich die Füße und schnitt eine Steckrübe in einen Teller Hafergrütze. Fasziniert verfolgten die Schüler jede seiner Bewegungen, als hätten sie noch nie gesehen, wie sich jemand die Füße knetet und Hafergrütze löffelt. Als er nach dem Bierkrug griff, elektrisierte sich die Spannung im Raum, eine Welle der stillen Hysterie schwoll an und ebbte ebenso rasch wieder ab. Falscher Alarm. Geistesabwesend stellte der Lehrer die Kanne wieder weg und nahm statt dessen einen Löffel Grütze, die ganze Zeit insein Buch vertieft. Finn Macpherson fiel fast aus der Bank heraus. Adam konnte ein nervöses Kichern nicht unterdrücken. Colin schneuzte sich erwartungsvoll. Nur Gleg bemerkte von alledem nichts, kritzelte versunken etwas in sein Schreibheft, als wäre er immun gegen die bösen kleinen Überraschungen des Lebens, der arme, dumme Pechvogel Gleg, das Opferlamm, das nichtsahnend die Pfosten des blutbefleckten Altars beschnüffelte.
    Dann, wie die Pointe eines schlechten Witzes, ging der Moment in die Geschichte ein. Tullochgorm hob den Krug an die Lippen und nahm einen langen, durstigen Schluck. Keine Reaktion. Er wandte sich wieder dem Buch zu. Es folgte ein Augenblick, in dem er auf das Gefäß mit der gelben Flüssigkeit hinabsah, unsicher noch einen prüfenden Schluck machte und dann alles ausspie wie ein Wal, der zum Luftholen auftaucht. Sechsunddreißig Köpfe senkten sich, urplötzlich von den Feinheiten der lateinischen Grammatik gefesselt. Georgie Gleg blickte auf. Der Schulmeister hatte eine Art Anfall, keuchte und würgte, knallte die flache Hand auf die Tischplatte, Äderchen platzten in seinem Gesicht wie ein Feuerwerk. Georgie war beeindruckt, verwirrt und erschrocken zugleich. Doch wenn er überrascht war, blieb die Überraschung von kurzer Dauer. Denn Tullochgorm starrte ihn an. Eigentlich starrte er nicht – er funkelte ihn an. Blicke wie Stilette. Schaumbläschen mit Speichel und halbverdautem Essen auf dem Kinn, die Schweinsäuglein voller Wut und Haß, so funkelte ihn Tullochgorm an.
    Georgie Gleg, zehn Jahre alt, begann sich äußerst klein zu fühlen.
     
    Von da an ging es stetig abwärts. Natürlich gab es dennoch ein Auf und Nieder, doch insgesamt neigte sich die Kurve von Glegs Leben dem Tiefpunkt entgegen. Direkte Konsequenz des Vorfalls mit Tullochgorm war der Schulverweis,gefolgt von einer dreifachen Tracht Prügel durch Georgies Mutter, Quaggus und den Schulmeister. Während der nächsten vierzehn Tage zwang man Gleg, zu jedem Mahl eine Tasse des eigenen Urins zu trinken, und nachmittags mußte er eine halbe Stunde lang am Dorfpranger stehen, der zu diesem Zweck ad hoc errichtet worden war. Am Ende der zwei Wochen wurde er in schroffer Weise aus dem Haus geworfen, und zwar auf Quaggus’ Stiefelspitze, und nach Edinburgh geschickt, wo er bei seinem Onkel Silas wohnen und die dortige Schule besuchen sollte.
    Erstaunlicherweise war Edinburgh gar nicht so übel. Schon weil ihn in der großen Stadt niemand kannte. Keiner wußte von dem ermordeten Adler und den blutbefleckten Dachziegeln, keiner beschuldigte ihn, den bösen Blick zu haben oder allein durch seine Gegenwart Milch sauer werden zu lassen. Für die neuen Mitschüler war er nur ein schlaksiges, segelohriges Objekt des Gespötts – nichts Besonderes. Im Hagel der Beschimpfungen gelang es ihm sogar, ein paar Freundschaften zu schließen – ebenfalls Einzelgänger, natürlich, aber es war ein Anfang. Andererseits bekundete Silas Gleg lebhaftes Interesse an seinem Neffen. Er kleidete ihn anständig ein, stellte einen Hauslehrer an, gab ihm Taschengeld   – Georgie fing an, sich so zu entwickeln, wie es einem Gutsherrnsohn anstand. Er schloß die Schule mit hervorragenden Noten ab.
    An diesem Punkt mischte sich Quaggus ein. Da inzwischen kaum noch Grundbesitz oder ein nennenswertes Erbe übrig sei, so argumentierte er, sollte der Junge einen guten Beruf ergreifen,

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