Wassermusik
Fensterscheibe sitzt. Als Gleg zwölf war, hatte Quaggus sein Erbe verschleudert und dazu noch drei Viertel des Grundbesitzes. Die Familie war in argen Schwierigkeiten.
Doch als wäre das noch nicht genug, erfaßte ihn das Unheil noch auf weit subtilere, hinterhältigere Weise: es machte ihn zum Paria. Man wich ihm aus, als hätte er Lepra, Hunde knurrten ihm nach, seine Altersgenossen hielten ihn mit Stöcken und Steinen auf Distanz. Er war eine Kröte, ein Wurm, ein Wechselbalg – ausgestoßen aus der menschlichen Gemeinschaft. Verschlimmert wurde die Sache noch dadurch, daß Glegs Aussehen dieser Rolle so voll entsprach. Er wurde dünn und knochig, bekam schmale Schultern und einen Brustkorb wie ein gerupftes Huhn. Seine Füße waren riesengroß. seine Hände rissig. Die Leute sagten, die ausgeprägte Hakennase sei das Zeichen des Vogels an ihm. Und erst seine Augen – klein und eng beieinander, voller gelber und roter Flecken, standen sie tief in den Höhlen, und die Haut ringsherum hatte die Farbe von frischer Leber. Vogelaugen eben.
In der Schule war er Zielscheibe von Hänseleien, Witzen, Streichen, boshaftem Spott und ausgesprochener Verachtung. Er war zehn Jahre alt, häßlich wie ein Pferd, und der beste Lateinschüler im Gymnasium von Selkirk. Letzteres war praktisch der Todeskuß für ihn, was seine Klassenkameraden anging. Über seine sonderbare Art, die Segelohren und die mangelnde motorische Koordination ließ sich ja vielleicht noch hinwegsehen, aber sie konnten ihmnie verzeihen, wie mühelos ihm die Deklinationen von der Zunge rollten, während sie sich verzweifelt mit den kläglichen Kritzeleien in ihren zerfledderten Heften abquälten. Vor allem die älteren Jungen waren böse auf ihn. Da strampelten sie sich ab, Tag und Nacht, vier Jahre lang – nur um sich von so einem rotznäsigen Jammerlappen und Grünschnabel die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Sie beschlossen, es ihm heimzuzahlen.
Als eines Abends die Schule aus war, machten vier der älteren Jungen – die Brüder Park, Finn Macpherson und Colin Raeburn – beim Nachhausegehen einen Umweg und trafen sich am Ballindalloch Glen. Die Luft war kalt und trocken, der Schnee knirschte unter ihren Füßen. Adam und Mungo hatten schon ein Feuer entfacht, als die beiden anderen eintrafen, sich als ungewisse Schatten aus dem schwarzen Vorhang des Waldes schälten. Man grüßte sich stumm, grimmig; Finn zog den Whiskykrug aus der Tasche wie einen Dolch. Keiner erwähnte Meg Munro. Es wurde auch nicht von Fußball oder Hockey geredet, kein Witz gerissen. Das hier war eine ernste Angelegenheit. Es war ein Kriegsrat.
Gleg hatte das Unvorstellbare getan – den Silvester-Preis für Leistungen in der Fremdsprache gewonnen, indem er seine Klassenkameraden bei einer Vom-Blatt-Übersetzung aus Vergils
Bucolica
haushoch geschlagen hatte. Der Preis bestand in einem Half-Crown-Stück, das jedes Jahr von Mrs. Monboddo, einer Witwe mit enormer Oberweite und Sinn für Kultur, gestiftet wurde. Noch nie hatte einer aus dem ersten Jahrgang den Preis errungen.
«Das bringt das Faß zum Überlaufen», sagte Adam. «Wir müssen dem kleinen Dreckskerl eine Lektion erteilen.»
Finn reichte den Krug an Mungo weiter, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und nickte. «Ich bin dafür, wir ziehen ihm die Ohren noch länger.»
«Nein, nein. Das muß was viel Dezenteres sein, damit er sich’s irgendwie mit dem Pauker verscherzt.» Der vierzehnjährige Adam machte den Anführer, obwohl Mungo und Colin ein Jahr älter waren und am Ende des Schuljahrs ihren Abschluß machen würden. Mungo hatte im Grunde an der ganzen Sache kein sonderliches Interesse – er war nur aus Solidarität mitgekommen. Für ihn bestand die Frage nicht darin, ob er Gleg nun mochte oder nicht – natürlich mochte er ihn nicht –, denn mit solch kleinlichen Affären wollte er sich gar nicht erst abgeben. Mit fünfzehn war Mungo eine Art Goldjunge: mittelmäßig im Lernen, aber der beste Sportler der Schule, trotz einer Neigung zur Tolpatschigkeit. Er war schon 1,83 Meter groß und hatte die Muskulatur eines Erwachsenen. «Ich bin für Finns Vorschlag.»
Adam nahm einen Schluck aus dem Krug. «Hört doch erst mal zu», meinte er und beugte sich vor, um seinen Plan zu erläutern. Der war erstens von teuflischer Einfachheit, und zweitens verwickelte er Gleg in eine größere Übertretung der Schulordnung:
Da der Daseinszweck des Gymnasiums darin bestand, den Schülern
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