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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zucken, fährt ihn Johnson an: «Und Sie glauben, eine Handvoll Männer wird Mansong oder Ali einschüchtern? Von Tiggitty Sego gar nicht zu reden. Glauben Sie, die werden ruhig zusehen, wie eine ganze Kompanie Weißer über ihre Grenzen stürmt und die Bevölkerung beleidigt? Hah! Bewaffnete Schutztruppe.Mansong kann dreitausend Mann gegen jeden von euch aufbieten.»
    Mungo starrt in seinen Becher, als enthielte er irgendeine faszinierende Spezies der Tierwelt. Er hat keine Antwort.
    «Und was ist mit Dassoud? Was passiert, wenn der Typ Wind davon kriegt, daß Sie schon wieder durch Bambarra schleichen?»
    Scott und Zander werfen sich seit geraumer Zeit sorgenvolle Blicke zu. Martyn hockt ungerührt dabei und stochert mit seinem Messer in den Speiseresten herum. «Tu’s für unsere schöne Zeit damals, Johnson», fleht Mungo. «Aus Freundschaft. Für alles, was wir zusammen durchgemacht haben.»
    Johnsons Miene wird anscheinend milder. Nachdenklich nimmt er einen langen Schluck Tee, dann schiebt er sich die Mütze nach hinten und schürzt die Lippen, wie um ein Grinsen zu verbergen. «Das wird Sie ’ne Stange kosten», sagt er schließlich. «Ich will Milton, Dryden und Pope. Ledergebunden, die Titel in Blattgold.»
    Es dauert eine Weile, bis es durchdringt. Der Entdeckungsreisende sitzt mit zuckendem Mund da, dann springt er so abrupt auf, daß zwei von Johnsons ältlichen Begleitern zusammenfahren und ein Hund kläffend in den Busch davonrennt. «Du meinst, du kommst also mit?»
    Jeder Zoll ein Kavalier, erhebt sich Johnson mit einem Seufzer und streckt die Hand aus. Amuta und die Zwölfjährige ziehen von irgendwo Kalebassen mit Palmwein hervor und gehen fleißig daran, ordentliche Schlucke davon in die gewölbten Handflächen von Schwarzen wie Weißen auszuschenken. Alles grinst. Die verängstigten Gefolgsleute haben sich der Gruppe wieder angeschlossen, und die Insekten und Amphibien zirpen schon wieder in rauhen, festlichen Tönen.
    Johnson packt den Entdeckungsreisenden am Handgelenkund zieht ihn näher an sich heran. «Eins noch», sagt er mit leiser, vertraulicher Stimme, «den Pope will ich handsigniert, ja?»

DER ANFANG ALLEN LEIDS (PLITSCH-PLATSCH)
    Zu dieser Jahreszeit, der öden, sengend heißen, unbarmherzigen, wenn die Brunnen trocken, die Bäume verdorrt und die Scheunen leer sind, wenn die Savanne wie eine frisch rasierte Wange daliegt und die Staubteufelchen einem im Gesicht herumtanzen, wenn man Dreck schluckt, bis die Zunge schwer davon wird und schwarze Tränen fließen, zu dieser Jahreszeit betet man um Regen. Ob Mandingo, Serawoulli, Fulah, Maure, Maniana oder Ibo, alles betet um Regen. In jedem schmachtenden Dorf schürzt der Zauberheiler die Lippen, eine ernste Sache, und streut Rattenembryos auf den Feldern aus oder schüttet eimerweise Fötenblut über die rissigen, ausgebleichten Antlitze geschnitzter Götzen. Hunde bekommen kein Futter, Ziegen reißen ihre Haltepflöcke heraus und machen sich über Bambus, Korbgeflecht und Strohdächer her. Die Dorfbewohner schnallen die Gürtel enger, brühen sich eine Paste aus dem gelben Pulver der Nitta-Schote auf und heben den Blick erwartungsvoll zum Himmel. Bei Sonnenuntergang, wenn der Mond ein blutunterlaufenes Auge am Horizont ist, versammeln sich die Frauen, um sich nackt auszuziehen und Pflüge durch die hartverkrusteten Äcker zu zerren, während der Niederschlagskundige des Dorfes in schrillem, jammervollem Falsett seinen Regengesang intoniert:
     
    Himmel, platze, laß dein Wasser fließen,
    Borongay!
    Melone, schwelle, spuck die Kerne aus,
    Borongay!
    Hey-hey, hey-hey,
    Borongay!
     
    Da er in den Zyklus hineingeboren ist, steht Johnson damit ebenso im Einklang wie die Schafe auf der Weide und die hechelnden Schakale im Busch. Dieses Jahr jedoch hofft er um des Entdeckungsreisenden willen, daß der Regen noch ein klein wenig ausbleibe – zumindest bis sie die Berge überquert haben. Natürlich wird es sowieso schlimm werden, sobald die Wolken erst mal losplatzen, aber hier oben, wo sie sich behutsam an scharfzackigen Karen und jähen Abgründen von 25 bis 100   Meter Tiefe vorbeitasten, wäre Regen eine Katastrophe. Gar keine Frage. Ein totales Schlamassel. Daher hat Johnson, wie immer ein Muster an Vorsicht und Voraussicht, einen hochwirksamen Anti-Regen-Fetisch zusammengemixt: die abgeworfenen Schuppen einer kleinen Düneneidechse, eine mittelgroße Portion Kamelkutteln, eine Prise Schwefel und sechs Zeilen aus

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