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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Kricketschläger. Neben ihr liegt im Staub ausgestreckt ein Hund von der Farbe reifer Bananen, dessen Barthaare sich bei jedem schläfrigen Atemzug leise heben und senken. Der Entdeckungsreisende hält inne, um die reichhaltigen, sinnlichen Details der Szene aufzunehmen – die Bilder und Geräusche, und vor allem die Gerüche, isoliert und deutlich wahrnehmbar: wilder Honig, blühende Blumen, Maisbrei mit Schibutter, Fisch und Öl und brennendes Holz. Bunte Togas hängen naß über einer Hanfleine, ein Graupapagei hockt lässig auf einem T-Balken neben der Tür. Und da drüben im Schatten der Bambuspalme – ist das nicht Johnsons jüngste Frau? Genau. Die, der er vor acht Jahren die traurige Botschaft überbracht hat, sie konnte damals kaum fünfzehn gewesen sein. Er erinnert sich noch: sie hatte sich einfach umgedrehtund war in der Hütte verschwunden, ohne jede sichtbare Gefühlsregung, und dann hatte sie in ihrem Kummer und Unverständnis alle im Dorf die ganze Nacht mit herzzerreißendem Schluchzen wachgehalten. Und hier ist sie nun, kaum einen Tag älter, und sitzt im Schatten ihres Webstuhls. «Amuta?» flüstert der Entdeckungsreisende.
    Sie dreht sich zu ihm um, ihre Miene verändert sich nicht im geringsten. Im Wald sirren die Zikaden. Zwei Nashornvögel klappern und krächzen auf den Ästen über ihr. «Wir haben dich schon erwartet», sagt sie, und es klingt nicht wie ein Gruß, eher wie ein Abschied. Ihre Stimme ist müde und resigniert, es liegt Geben und Nehmen zugleich darin. Mungo fühlt sich als Eindringling, als Verbrecher, Überbringer von Hiobsbotschaften und Vernichter der Ernten.
    Plötzlich ist sie auf den Beinen und macht ihm ein Zeichen, ihr zu folgen. An der Hüttentür bleibt sie stehen, traurig und schön, das Haar zu dichten Maisfeldzöpfen gebunden, ihre Augen wie reife Oliven. «Geh hinein», murmelt sie und winkt ihn heran.
    Drinnen ist es kühl und dunkel, ein Trichter aus milchigem Licht dringt durch den Rauchabzug im Dach herein. Der Boden ist sauber gefegt, die gestampfte Erde glatt wie Fliesen. In der Mitte der Hütte ist ein Steinkreis mit ein paar der zusammengezwirbelten, langsam brennenden Lianen, wie sie die Mandingo als Nachtlampen verwenden. Links steht ein Riesen-Doppelbett, dessen Bambusrahmen mit straff gespanntem Ochsenleder bezogen ist. Dazu diverse Korbstühle und eine Sitzbank, vom Mittelpfosten hängen
saphis
und Kalebassen, einige Tongefäße sind in der Ecke gruppiert. Wie man sich eine Eingeborenenhütte eben so vorstellt.
    Was diese hier jedoch unterscheidet, außergewöhnlich und besonders macht, von allen anderen Hütten Afrikas abhebt, was sie zu Johnsons Hütte macht, ist das Bücherregal,das in dem fahlen Licht des Rauchabzugs gebadet ist, so daß es fast gespenstisch, wie eine Illusion wirkt: das Bücherregal, eine ordentliche Zimmermannsarbeit aus Bambus und Hanfstricken, enthält Shakespeares Gesammelte Werke, alle Bände in Quartformat und ledergebunden. Der Anblick überlastet irgendwie den Drüsenhaushalt des Entdeckungsreisenden, und ihm ist zum Heulen zumute, ein tiefer Schmerz brennt ihm in Kehle und Brust. Wahllos nimmt er einen der Bände heraus –
Othello –
und liest:
     
    Entbehrt die Tugend Reiz und Schönheit nicht,
    Ist Euer Eidam minder schwarz als licht.
     
    Der gute alte Johnson, denkt er und schüttelt langsam und bedächtig den Kopf, als wöge der auf einmal hundert Kilo.
    Er stellt das Buch zurück und erkennt dann Johnsons Schreibtisch – im Grunde nicht mehr als ein dünnes Brett   –, der vor einem ins Stroh geschnittenen viereckigen Klappfenster steht. Papyrusstücke, ein Tonkrug mit Federkielen und ein Faß mit Indigo-Tinte: das Rüstzeug des Berufs.
Sie wären erstaunt über die Macht des geschriebenen Wortes, Mr.   Park
, würde er sagen, wenn er jetzt da wäre, würde grinsend herbeischlendern und irgendwas für den Kochtopf mitbringen. Müßig streicht der Entdeckungsreisende über das Tintenfaß, berührt einen scharfen Federkiel mit der Zungenspitze. In seiner Versonnenheit nimmt er nur vage wahr, daß Amuta ihn allein gelassen hat, ist viel zu tief in Erinnerungen versunken, um länger über ihren seltsamen Gruß nachzudenken («Wir haben dich schon erwartet.» Wer ist wir?) und bemerkt gar nichts außer dem kummervollen Gefühl beim Betasten von Johnsons Artefakten und beim Wiedererwecken der Vergangenheit.
    Er dreht sich um und zuckt fast zusammen, als er die Gestalt in der Tür sieht: im Gegenlicht, das Gesicht

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