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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Miltons
L’Allegro.
    Jetzt reitet Johnson an der Spitze der Karawane, der
saphi
hängt ihm an einer Schnur um den Hals, direkt hinter ihm folgen vier seiner Diener auf Eseln. Er beginnt gerade an der Kraft seines Zaubers zu zweifeln. Das hat einen einfachen Grund: er riecht Regen in der Luft, einen Duft so schwer und unverwechselbar wie die Dunstaura, die am Morgen über einem See schwebt. Er schnüffelt noch zweimal, um ganz sicherzugehen, dann reißt er sein Pferd herum und reitet auf der Suche nach dem Entdeckungsreisenden die Kolonne ab. Er findet ihn am Fuß eines Schotterhangs, über einen halbtoten Esel gebeugt. Der Esel liegt auf der Seite, er ringt nach Luft, strampelt mit den Vorderbeinen. Säcke mit Nägeln, zwei große Baumsägen, ein zusammengerolltes Segel und Fässer voll Pech und Kalfaterwerg liegen im stachligen gelben Gras neben dem sterbenden Tier verstreut, als hätte man sie aus großer Höhefallen gelassen. «Na, komm schon, Einundzwanzig!» ermuntert es der Entdeckungsreisende. «Komm schon, altes Mädchen. Steh auf. Du schaffst es.» Hinter ihm, schafsköpfig, arrogant und dumm zugleich, steht der massige rothaarige Zimmermann namens Smirke, dessen Nase und Backen von der Sonne zu glänzenden, matschigen Erdbeeren verbrannt sind.
    «Mr.   Park», ruft Johnson scharf und drängend, «ich muß mal kurz mit Ihnen reden.»
    Der Entdeckungsreisende richtet sich auf, klopft die Hände ab wie ein Bäcker das Kuchenmehl und lächelt seinen Dolmetscher an. «Aber natürlich   … Isaaco. Was haben wir denn auf dem Herzen, alter Junge?»
    «Unter vier Augen, Mr.   Park, wenn es recht ist.»
    Smirke blickt jäh auf; ob er vor Wut oder wegen der grellen Sonne so verkniffen ist, weiß Johnson auch nicht genau. Der Esel stöhnt wie eine Großmutter auf dem Sterbebett.
    «Sie machen hier weiter, Smirke, ja?» sagt der Entdeckungsreisende, schwingt sich in den Sattel und setzt sein Pferd mit einer lässigen Drehung des Handgelenks in Bewegung.
    Sie trotten davon, Johnsons seidenweiche Bauchfalten wackeln unter der Toga, und der Entdeckungsreisende wendet sich ihm kameradschaftlich und erwartungsvoll zu. «Also?»
    «Tja, also es geht nämlich darum, Mr.   Park   –»
    «Nenn mich doch Mungo, alter Junge.»
    «Mr.   Park, ich glaube, in weniger als einer Stunde gibt’s ein ganz teuflisch böses Gewitter, und ich würde sagen, Sie erteilen auf der Stelle die Order zum Lagermachen, oder die Hälfte dieser weißen Knaben da wird heute nacht Galle kotzen.»
    Der Entdeckungsreisende reckt den Hals, um den Himmel zu begutachten. Er sieht ein tiefes, durchscheinendesBlau von Horizont zu Horizont, kein Wölkchen in Sicht. Die Hitze ist so stark, daß sie ihn geradezu vom Pferd reißt und in der Schwebe hält, wie eine Aschenflocke, die in der Wärmeströmung über einem Ofen treibt. «Du machst wohl Witze?»
    «Kein Witz. Ich kann das riechen. Dauert keine Stunde mehr.»
    «Aber es ist doch keine Wolke am Himmel.»
    «Hören Sie, Mr.   Park. Ich hab weder Zeit noch Energie, mit Ihnen zu debattieren. In diesem Moment errichten meine Jungs auf dem Hügel dort einen Unterschlupf, hinter dem Granitfelsen da oben, der wie eine Sanddüne aussieht. Und wenn Sie Hirn im Kopf haben, machen Sie’s genauso.»
    Der Entdeckungsreisende zieht eine unsichere, verlegene Grimasse, als hätte man ihm einen Witz erzählt, den er nicht ganz versteht. «Mach dich nicht lächerlich, Johnson   – Isaaco – oder wie du nun gerne genannt werden willst. Es ist halb zehn Uhr vormittags. Wir haben einen ganzen Tagesmarsch vor uns. Wenn du denkst, ich halte die Männer an und lasse sie ein Lager aufschlagen, bloß weil du so ein Gefühl hast, es könnte vielleicht regnen, dann hast du dich aber geschnitten.»
    Johnson hat seinen Gaul schon abdrehen lassen. Er schaut noch kurz über die Schulter, fixiert den Entdeckungsreisenden mit müdem, resigniertem Blick, wie ein Lehrer einen Schüler, der eben zum drittenmal fünfundzwanzig minus zehn gerechnet und achtzehn herausbekommen hat. «Weißt du was, Mungo – du bist immer noch genauso eine Knalltüte wie vor acht Jahren.»
     
    Eine Dreiviertelstunde später hat der Himmel die Farbe von geöltem Stahl und der Wind pfeift mit Stärke 10 dahin, wirbelt Staubwolken auf, die alles nah und fern verfinstern. Blitze zerreißen die wirbelnden Wolkenschleier, und fauchende Windhosen entwurzeln stattliche Bäumewie Selleriestengel. Und dann geht der Regen los. Braust herab wie die

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