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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Scheitern, Selbstmitleid und Zunichtewerden.

DUMMULAFONG
    «Hab Sie ja gewarnt.» Johnson spottet nicht, sagt es nur klipp und klar, ohne jeden Beiklang, sagt es einfach, wie es ist. Er liegt auf einem luxuriösen, mit Ochsenleder bespannten Lehnstuhl à la Madame Récamier, trägt Tarbusch und einen roten Seidenumhang, die Füße in ein Leopardenfell gehüllt. Sein Lager, eine halbe Meile von dem des Entdeckungsreisenden entfernt, liegt hinter einem monolithischen Felsklotz versteckt, nur nach Norden hin offen. Obwohl der Regen die ganze Nacht nicht aufgehört hat, mit solch erbarmungsloser Härte niedergeprasselt ist, daß der Entdeckungsreisende schon überlegt hat, sein Schiff gleich hier zu bauen und sich so zum Niger tragen zu lassen, ist Johnsons Zelt doch so trocken wie Benaum im Februar. Der Boden ist mit Akazienlaub ausgelegt, um jede hereinkriechende Nässe aufzusaugen, die Zeltwände sind mit ebensolchen Zweigen verstärkt. Ein lustiges Feuerchen leckt an den Keulen von einem halben Dutzend Jagdvögeln   – Rebhühner?   –, als Mungo eintritt, bis auf die Haut durchnäßt, und Johnson seinen Kommentar abläßt.
    Der Entdeckungsreisende läßt schamrot und bußfertig den Kopf hängen. Der triefende Überzieher zerrt verloren an ihm und macht seine Schultern rund. «Ich werde dich nie wieder in Zweifel ziehen», bringt er hervor.
    Johnson füllt seine Pfeife mit einer Prise Virginia-Tabak und stopft sie behutsam mit dem Daumen. «Kopf hoch, Mr.   Park – irgendwann mußte es ja kommen. Der Regen, meine ich.» Er macht eine Geste zum Feuer hin. «Setzen Sie sich und trocknen Sie erst mal wieder, nehmen Sie ’n Bissen Kükenfleisch und ’ne Tasse heißen Tee, dann erzählen Sie mir, was los war.» Ein Fingerschnipsen, und einer der Diener tritt aus dem Schatten hervor, um dem Entdeckungsreisenden ein Stück Geflügel zu servieren, und reicht ihm dazu eine Yamwurzel frisch vom Rost, goldbraun und triefend von süßlichem Saft. Dunkel und aromatisch zischt der würzige Tee aus dem Schnabel einer silbernen Kanne. «Also», sagt Johnson wie ein Lebemann, der in seinem Club zu Abend ißt und einen unbedeutenden Einsatz beim Kartenspiel oder Pferderennen erwähnt, «wie viele haben Sie denn verloren?»
    Mungo starrt auf das Essen in seinem Schoß. Der Tribut der letzten vierundzwanzig Stunden war hoch. Zu hoch. Und schuld daran ist nur er selbst. Der erste war Cecil Sparks, das arme Kind – irgendein Krampfanfall hat ihn kurz vor Morgengrauen erwischt. Etwa fünf Minuten lang wand er am sich Boden wie ein Fisch auf dem Kai, dann biß er sich die vordere Zungenhälfte ab, sperrte den Mund weit auf und starb. Als es hell war, meldete Martyn, Shaddy Walters sei am Fuß der Steilwand gefunden worden, vom Kadaver seines Esels zerquetscht und teilweise von wilden Tieren abgenagt. Die Kochtöpfe, zerbeult, aber verwendbar, sowie fünfzig Pfund aufgequollener Reis konnten geborgen werden. H.   Hinton – den Vornamen erfuhr der Entdeckungsreisende nie – war samt Esel verschollen.
    Nach einer Weile hebt Mungo den Kopf und fixiert einen dunklen Fleck dicht über Johnsons Schulter. «Drei», krächzt er, so elend, als hätte er sie alle selbst hinuntergestoßen.
    «Hey, ist doch nicht das Ende der Welt, Mr.   Park. Dann haben Sie ja immer noch, Moment mal, vierzig Mann übrig?»
    «Neununddreißig, mich nicht mitgezählt. Dich auch nicht.»
    «Dann haben Sie’s beim letztenmal wohl mit Null geschafft, oder was?»
    Mungo senkt den Blick, dann fällt er unbeherrscht – der Duft macht ihn wahnsinnig – über einen triefenden Geflügelschenkel her.
    «So wie ich das sehe», sagt Johnson und stößt Rauchringe aus, «dürfte der Regen gegen drei Uhr nachlassen. Wahrscheinlich pieselt sich’s noch eine Weile aus, aber mit etwas Glück können wir’s bis zum Abend nach Bountonkuran schaffen, Regen hin, Regen her. Das ist bloß ein ödes Loch, aber der
Duti
ist kein Unhold oder so, und wenn Sie ein bißchen was springen lassen – sagen wir mal etwa fünftausend Kauris   –, dann besorgt er Ihnen vielleicht ein paar trockene Hütten, wo die Leute sich wieder aufrappeln können. Was halten Sie davon?»
    Schwermütig, die Lippen glänzend vor Fett, nickt der Entdeckungsreisende bedächtig. «Du bist der Boß», sagt er.
     
    Bountonkuran ist ein unauffälliges Nest am Wegesrand, das unter den Gegebenheiten aber zum Lebensretter wird. Für 6500   Kaurimuscheln kann der Entdeckungsreisende drei undichte Baracken

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