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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sich eine Sehne, als der Kopf sich zur Seite dreht; kein anderer Muskel regt sich. Er sieht aus, als verflüssige er sich, als sickere er langsam in die Erde. Der Entdeckungsreisende spürt den Atem des Kranken im Gesicht, gespenstisch, wie faulendes Fleisch. Bloores Lippen zucken ein wenig.
    «Ja?» sagt Mungo und beugt sich tiefer herab. «Ja?»
    «Daß nicht jede Gans unbedingt quakt!» brüllt der alte Rome triumphierend.
    Bloore keucht. Seine Stimme ist das Rascheln einer Feder im Sturm. «Sie ham ja wohl schon genuch getan für uns, Herr Erforscher», krächzt er. «Jetzt gebense endlich Ruhe und tunse uns in Frieden varecken lassen.»
     
    So geht es weiter. Der Regen fällt stetig, mühsam kämpft man sich voran, die Verschleißerscheinungen sind unerbittlich. Soldat Roger McMillan und Matrose Wm. Ashton ertrinken, als bei der Überquerung des tosenden Bafing ein Eingeborenenkanu kentert; Zimmermann J.   Bowden bleibt zurück und wird von Dieben ausgeraubt und ermordet; Christopher Baron wird von wilden Hunden zerrissen, als er ins Unterholz kotzen geht. Täglich brechen Männer am Wegesrand zusammen, Esel gehen verloren, Ausrüstung verschwindet im Busch oder wird von Schwarzen geklaut.
    Das ist das Allerschlimmste: die Dieberei. Mit allem anderen könnte Mungo sich abfinden – der Mensch im Kampf mit der Natur und so weiter   –, doch diese unaufhörlichen Attacken der Eingeborenen – gerade jener Leute, die am meisten vom Handel mit England profitieren würden   … es ist zum Verzweifeln, zum Händeringen. Statt dem jeweils nächsten Dorf erleichtert entgegenzugehen, als einem Ort der Ruhe und Erholung, fürchtet der Entdeckungsreisende mittlerweile jede Annäherung an bewohntes Gebiet. Es hat sich herumgesprochen: die Karawane ist
dummulafong
, leichte Beute. Landauf, landab, von Dougikotta bis nach Kandy, jagt wie auf schnellen Flügeln das Gerücht: ein Zug von Weißen ist auf dem Weg   – Männer, die völlig entkräftet sind, kaum noch eine Waffe halten und ihre Esel antreiben können, deren Ladung aus Perlen und Gold und so exotischen, wundersamen Dingen besteht, daß es in der Sprache der Mandingo gar keine Wörter dafür gibt.
    Also stürzen sich die Schwarzen auf sie wie die Fliegen, wie Schakale, wie Hyänen. Diesen blassen, kotzenden,nach Scheiße stinkenden Weißen etwas zu klauen, wird für sie geradezu eine Ehrensache, so wie man auf der amerikanischen Prärie seine Feinde vom gegnerischen Stamm möglichst geschickt überlistet, oder in der Sierra Morena aufrecht und reglos einem wutschnaubenden, heranstürmenden Stier die Stirn bietet. Sie sind allgegenwärtig, gnadenlos. Als Mungo einmal kurz absteigt, um einem Soldaten zu helfen, dessen Esel bis zur Schnauze im Schlamm steckt, dreht er sich zu seinem Pferd um und sieht, wie ein Schwarzer sich wie ein Windhund mit seinen Satteltaschen davonmacht. Ein andermal tauchen zwei spindeldürre alte Männer aus einem Gebüsch vor ihm auf, und als er warnend die Muskete hebt, hüpft der eine auf ihn zu und entreißt ihm die Waffe, während der andere ihm den Mantel von den Schultern zieht. Und all das im stiebenden Regen.
    «Gibt nur einen Weg, damit Schluß zu machen», sagt Johnson, der auf seinem Pferd durch ein Nebelfeld trottet, «und zwar alle Diebe ohne Warnung abknallen. Glauben Sie mir, Mr.   Park: ich kenn diese Leute.» Die nahen Bäume sind mit grauem Dunst verhangen; weiter weg verschwinden sie in den Eingeweiden der Wolken. Blätter tropfen, sonderbare Kreaturen schreien im Wald, Frösche besteigen einander und quaken dazu ein Lied. «Das hier ist Afrika, Mann», sagt Johnson und wiederholt damit etwas, das er vor langer Zeit einmal sagte, während der alte Ebo dem Entdeckungsreisenden in die Handfläche starrte und der Himmel aufplatzte, von Pol zu Pol einen gigantischen Riß bekam. «Hier gilt eben das Gesetz des Dschungels. Wer hier schwach ist, der kriegt eins auf die Birne und steht ohne Hosen da.»
    Der Befehl wird unter den Männern ausgegeben: Verdächtige ohne Anruf erschießen.
     
    Die direkte Konsequenz der harten Linie des Entdeckungsreisenden ist, daß Martyn und M’Keal, die zweiselbsternannten Wachhunde der Vorhut, voller Enthusiasmus zwei ältliche Frauen umlegen, die ihnen auf der Straße entgegenhumpeln und auf dem Kopf eine zerbrechliche Ladung von Eiern in großen, geschlungenen Schlangenbeschwörerkörben balancieren. Mungo inspiziert die hingestreckten Leichen, sie spreizen Arme und Beine ab, haben

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