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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wieschreckliche Wunden, das Haar ist zu einem Knoten nach hinten gebunden, und eine Kette aus Kobraköpfen baumelt dem Mann um den Hals, als wollte er warnen: Ich bin giftig und werde nicht zögern zuzubeißen. Gegen diesen Burschen sind die Taschendiebe aus der Gegend kleine Kinder – sogar die wilde Meute in Pisania würde vor dem erblassen. Ohne viel Hoffnung hebt Ned die triefende Muskete, das Messer hat er unter den Arm geklemmt, als Notlösung.
    Es passiert gar nichts. Lange Zeit starren Ned und der wilde Mann einander über eine Entfernung von knapp zwanzig Metern an, der Regen peitscht auf sie nieder, und Ned tut sein Bestes, tapfer und selbstbewußt zu wirken. Dann, ganz plötzlich und unerklärlich, fängt der Wilde an zu grinsen. Eine wüste, feuchte, obszöne Grimasse, die breiten Lippen weit aufgerissen, zu Messern gefeilte Zähne. Und dann ist er weg. Schwupp. Wie ein degenerierter Kobold.
     
    An diesem Abend lagern sie im Freien, der Regen pladdert auf die Zelte wie Eingeborenentrommeln. Imposante Blitze zucken am Himmel, man hört die hohlen, gespenstischen Schreie der durch die Nacht ziehenden Tiere. Gegen zwei wird das kleine Feuer der Wache von einem plötzlichen Wolkenbruch gelöscht, und ein Rudel Hyänen – fliehendes Kinn, die Ohren eng angelegt – schleicht sich ins Lager und zerreißt einen Packesel.
    Am nächsten Abend lagern sie wieder im Freien, und wieder regnet es. Ebenso am folgenden Abend, und am Abend darauf. Wenn Ned richtig mitgezählt hat, ist es Mitte Juli, einen Monat nach dem Zeitpunkt, an dem sie laut dem Großen Weißen Helden längst auf dem Niger schippern wollten. Zwei Wochen noch, erzählt er ihnen. Nur noch hundertfünfzig, hundertsechzig Meilen. Gebt euer Bestes, Männer, so beschwatzt er sie.
    Pah. Euer Bestes. Am Morgen hat Ned zugesehen, wieJonas Watkins sich die Lungen rausgehustet hat und dann mit dem Gesicht nach vorn in der blutigen Brühe zusammengebrochen ist. Sie brachten ihn noch mal auf die Beine, aber er torkelte nur umher und fiel gleich wieder hin. Sein Gesicht war voller roter und weißer Flecken, und seine Augen waren wie Milch. Park schlenderte vorbei und fragte ihn, ob er weitergehen könne. Jonas konnte keine Antwort geben. Nach einer Weile saß der Große Weiße Held wieder auf und wies Jemmy Bird an, Watkins etwas Pökelfleisch und Munition dazulassen. Kommen Sie nach, wenn es Ihnen bessergeht, sagte Park. Noch so ein Witz. Sah man die Expedition als einen Mann, der eine Glatze bekam, dann war der arme Jonas nur ein weiteres Haar, das im Waschbecken landete. Echt wütend wird Ned allerdings bei dem klapprigen Schwächling von Leutnant – diesem Schwager. Der wird natürlich auf einer Trage mitgeschleppt, als wäre er vom Königshaus oder so, während man Jonas am Wegesrand für die Geier liegenläßt. Was glaubt denn Park, wem er damit was vormacht?
    Ned beißt die Zähne zusammen – und gibt sein Bestes. Der Monat geht vorbei. Sie erklimmen Hügel, durchqueren Ebenen, passieren reihenweise völlig identische, nach Scheiße stinkende Dörfer. Seltsame Vögel fliegen ihnen ins Gesicht, Fleischfresser stürzen sich als rotbraune Schemen auf die Esel, Herden von riesigen, flinken Viechern mit gestreiftem Fell und gekrümmten Hörnern suchen beim Klang ihrer Stimmen das Weite. Sie ernähren sich von Honigdachsen und Buschratten, durchschwimmen mit Blutegeln, Bilharzia und Guineawürmern verseuchte Teiche. Die ganze Welt stinkt nach Kompost und schleichender Fäulnis.
    Im Verlauf zweier elender Tage durchwaten sie drei regengepeitschte Flüsse: den Wonda, den Kinyako und den Ba-Li. Jeder Strom donnert dahin wie ein zorniger Gott, starrt vor entwurzelten Bäumen und Bergen von treibendemGestrüpp, birgt Schlingen, Schlangen und Krokodile, die brausenden Wellen sind kackbraun. Beim ersten – oder war’s doch der zweite? – wurde Jimmy M’Inelli, ein angenehmer Bursche, der mit einer Hand besser ein Kartenspiel mischte als die meisten Leute mit zweien Messer und Gabel handhaben können, von einem Krokodil weggeputzt wie ein Käsesandwich. Ned stand direkt neben ihm, bis zur Hüfte im Wasser und kaum drei Meter vom Ufer entfernt, als das Vieh auf den armen Kerl zustürzte wie ein Baumstamm, der eine Holzrutsche hinabfegt, auf entsetzlich mechanische Art das Maul aufklappte und gleich wieder in der braunen Soße versank. Eben noch brüllte er M’Inelli zu, er solle nach seiner Hand greifen, und in der nächsten Sekunde waren da nur noch ein paar

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