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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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runde Einschußlöcher in Brust und Augen, ihr Blut mischt sich mit auslaufendem Eiweiß und Eigelb, bis das Ganze protoplasmisch und zeitlos aussieht, eine fundamentale Gallerte des Lebens, die brodelnd an die Oberfläche eines vorsintflutlichen Sumpfs steigt. «Begrabt sie!» sagt er.
    Zehn Minuten danach führt er sein Pferd durch ein Labyrinth aus gigantischen Findlingen, die aus dem Boden ragen wie tote Elefanten, da bemerkt er plötzlich einen Tumult weiter vorn. Einer seiner Männer   … sieht aus wie Ned Rise   … kämpft dort mit zwei Schwarzen. Mungo beugt sich vor und galoppiert durch die schmale Schneise zwischen den Felsen, wobei er «Haltet den Dieb!» schreit, als befände er sich auf einer belebten Kreuzung in London oder Edinburgh. Die Schwarzen, deren nackte Haut im Regen glänzt, blicken kurz auf, schätzen eiskalt seine Entfernung ab und wenden sich dann wieder ihrem Vorhaben zu. Der eine vollführt einen Ringeltanz mit Rise, hält mit beiden Händen dessen Muskete gepackt und reißt sie hin und her wie eine Baumsäge, während sein Partner methodisch auf die lederumwickelten Packbündel auf Neds Esel einhackt. Als der Entdeckungsreisende den Schauplatz endlich erreicht, sprintet der erste Dieb mit Neds Hut davon, der zweite verschwindet gerade mit fünfzig Pfund Reis im Gestrüpp. Ned umklammert immer noch seine Muskete und liegt rücklings im Schlamm, ist seiner eigenen Masse und dem unverhofften Loslassen des Diebes zum Opfer gefallen.
    Fluchend richtet Mungo die eigene Waffe auf den ersten Mann. «Nimm das!» schreit er und drückt den Abzug.Nichts geschieht. Der Dieb bleibt abrupt stehen, die Hände lässig aufgestützt, keine fünfzig Meter weit weg. Und dann beginnt er unverschämterweise mit den Hüften zu wackeln und sein Becken ruckartig vorzuschieben, spöttisch, obszön, verächtlich.
    Mungo wirft seine Muskete zornig fort (sicher das Pulver naß geworden, zum Teufel) und nimmt dafür die von Ned. Doch der Dieb ist verschwunden, wie ein Kaninchen in seinen Bau. Der Entdeckungsreisende steht kurz vor einem Wutausbruch, die vielen Frustrationen machen ihn rasend, und was von seiner Fassung noch übrig ist, fühlt sich an wie eine brennende, offene Wunde, da fährt er auf Neds Ruf herum. Er traut seinen Augen kaum. Irgend so ein Dreckskerl von Neger erklettert gerade sein Pferd, das er vor nicht einmal dreißig Sekunden bei dem Hohlweg zurückgelassen hat. Das geht nun zu weit. Zitternd vor gerechtem Zorn hebt er ruckartig die Muskete an die Schulter, zielt genau und drückt ab. WOMM! Eine Rauchwolke, ein schriller, spitzer Schrei und Neds aufgeregter Ruf: «Sie haben ihn erwischt!»
    Richtig, da liegt er, niedergestreckt wie ein flügellahmes Rebhuhn. Mungo läßt die Waffe fallen und fängt dann an zu rennen, als er sieht, wie der kleine Gauner sich aus dem nassen Gras erhebt und zwischen die Felsen davonhinkt, sein Bein blutet stark, in der Hand hat er einen kleinen, blinkenden Gegenstand. «Ihm nach!» brüllt er, von Jagdlust gepackt. Im nächsten Moment sitzt er im Sattel und stiebt dem Verwundeten hinterher, seine alarmierten Offiziere   – Johnson, Martyn und Scott – sind ihm dicht auf den Fersen. Sie kommen gerade rechtzeitig um eine Biegung, um den Dieb in einem Dickicht weiter vorn verschwinden zu sehen. Gleich darauf sind sie ebenfalls dort: aber wo ist er jetzt?
    «Komm raus da, du Schweinepriester!» schreit Martyn.
    Die Pferde brechen durch das Unterholz, zertrampelnjunge Bäume, werfen sich verwirrt hin und her. «Wo ist der nur hin?» ruft Scott beinahe wiehernd, den Blick auf den Boden geheftet wie bei einer Fuchsjagd.
    Der Mißerfolg bringt alle zum Kochen. Männer brüllen herum, die Pferde schnauben und keuchen, Verstärkung eilt zu Fuß herbei. Doch wiederum scheint ihnen der Dieb wie durch Zauber entwischt zu sein. Der Entdeckungsreisende sieht Johnson achselzuckend an, aber der beachtet ihn gar nicht – er sitzt nur auf seinem Pferd und deutet wortlos mit einem Stock auf den Affenbrotbaum über ihnen. Dort oben, wie ein gehetztes Tier, hockt der Dieb, kauert etwa zehn Meter hoch auf einem knotigen Ast. Zitternd legt er den Kopf schief und läßt dann den Gegenstand fallen, den seine Faust umschlossen hielt. Einer der Männer hebt ihn auf. Es ist ein in Kork gefaßter Kompaß, der Kompaß, den Ailie Mungo zum Abschied gegeben hatte. Damit du immer den Heimweg zu mir findest, hatte sie gesagt.
    «Schießen Sie, Mr.   Park!» Johnsons Stimme.
    Martyn, dessen

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