Wassermusik
herzlich willkommen.»
Die rothaarige Frau hat ihre Hand ergriffen. Georgie Gleg, der berühmte Professor und Doktor der Medizin, tritt von einem Fuß auf den anderen und blickt auf seine Schuhe. «Und natürlich habe ich das Buch Ihres Mannes riesig gerne gelesen», setzt Fiona hinzu.
In den nächsten Tagen ist Avis House vom Summen, Brummen und Glucksen vielfältiger Aktivitäten erfüllt, als hätte es jemand auf einen großen Wagen gesetzt und ins Rollen gebracht. Alle Türen stehen weit offen, die überladenen Tische ächzen, und jede zum Gehen fähige, moralisch einwandfreie, halbwegs vernunftbegabte Seele ist zu einem Besuch eingeladen worden. Männer in Kilts und Frauen in karierten Tüchern kommen zum Tee, zum Abendessen, zum Kartenspiel oder zum Ringewerfen. Pfarrer Soundso, Doktor Dingsbums, Ehrenwerte Herren und ein paar Lords. Ailie kann sich die Gesichter kaum merken. Im Wohnzimmer die Macdonalds, die Dinsdales auf dem Rasen, grinsende Camerons möchten den Arzt aus Edinburgh und die Frau des bekannten Entdeckungsreisenden begrüßen, nüchtern dreinblickende Ramsays wollen gern über
Das Leben der Kirchenväter
von William Cave und Samuel Ogdens
Predigten
diskutieren. Abends feiert man mit gewaltigen Krügen Punsch und Süßmost und flaschenweise Portwein, man schmaust Hammel, Hering, Schneehuhn-Frikassee,Rindfleischklopse, schaumig geschlagene Milch und Zungenpastete und widmet sich dann dem Gespräch und dem Tabak, es gibt Musik, Tanz und Gesellschaftsspiele. Als wäre Weihnachten, Martinstag oder Erntedankfest. Das ganze Land scheint in den Ferien zu sein.
Ailie kann gar nicht genug davon bekommen. Sie fühlt sich wie ein sechzehnjähriges Mädchen, leichtfüßig, witzig, attraktiv, bewundert. Zum erstenmal seit Jahren steht sie wieder im Mittelpunkt, ob sie nun mit einem jungen Draufgänger in Kilt und Argyle-Kniestrümpfen übers Tanzparkett schwoft, mit den Damen über Mode oder mit einem schielenden Landarzt über Pferde und Hunde schwatzt. Trotz ihrer sonderbaren Stellung – Georgie hat sie den Laufpaß gegeben und Mungo geheiratet – könnte sie sich gar nicht entspannter und auch nicht herzlicher willkommen fühlen. Anfangs hatte sie ja gedacht, Fionas Anspielung auf Mungo sei eine subtile Spitze gewesen – und der Herrgott wußte, wieviel Recht Georgies Cousine und seine Mutter und überhaupt sein ganzer Clan darauf hätten, ihr böse zu sein –, aber jetzt ist sie sicher, daß die Bemerkung ohne jeden Hintersinn, nur zum Ankurbeln der Unterhaltung gedacht war. Tatsächlich geben Fiona und Mrs. Quaggus sich sogar alle erdenkliche Mühe, eine Beziehung zwischen ihr und Georgie zu fördern. Sie haben ihr Thomas abgenommen und beschäftigen ihn mit gälischen Volksliedern und Sagen über Gnome und Kobolde und das Ungeheuer in den Tiefen des Loch, stopfen ihn mit Kuchen voll und lassen ihn auf den Wiesen herumtollen. Desgleichen mit Betty. Nicht einmal eine Stunde nach ihrer Ankunft kam ein ausnehmend freundlicher junger Geistlicher zum Tee, der ihr seitdem nicht mehr von der Seite gewichen ist. Das Ganze ist äußerst sonderbar. Es ist fast, als ob die zwei älteren Frauen die Ehestifterinnen spielten, als wäre Ailie wirklich sechzehn, frei und ungebunden, die erwähltePartnerin für den mustergültigen Sohn und braven Cousin. Entweder das … oder eine Witwe.
Eine Witwe. Der Gedanke kommt ihr, kalt und heimtückisch, als sie sich eines Nachmittags zum Tee ankleidet, und sie erstarrt einen Moment lang. Denken sie denn wirklich –? Sie ist eine verheiratete Frau und vierfache Mutter … ihr Mann ist für eine Weile weg. Beruflich. Wie ein Anwalt, der einen Prozeß außerhalb hat, oder ein Landrichter bei den Assisen. Und dann, als hätte man plötzlich ein nasses Tuch über sie geworfen, wird ihr klar, wie es in Wahrheit ist. Mungo ist irgendwo weit weg, er leidet, ist vielleicht verletzt, von Krankheit zerrüttet, von gräßlich grinsenden Schwarzen und heulenden Untieren belagert, und sie rennt hier herum, als gäbe es ihn gar nicht, wie ein Schulmädchen oder – wie eine Witwe. Witwe. Die beiden bösen Silben prallen in ihrem Kopf hin und her, unerträglich, unannehmbar: Ailie Anderson Park, Witwe des Verstorbenen Großen Entdeckungsreisenden.
Das ist es. Darum geht es bei dem Ganzen also, deshalb überstürzen sich die alte Quaggus und die einfältige Fiona in Freundlichkeiten. Sie haben Mungo schon begraben, und jetzt klopfen sie sie – wie ein Stück Fleisch
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