Wassermusik
melodischen Sprache, die etwas unsagbar Altes und Exotisches an sich hat, in dieser Ur-Sprache, die man in Mesopotamien oder Luxor oder auf den zerfallenden Bögen eines vergilbten Pergaments erwarten würde. Als sie verstummt, sieht Ailie Macphoon erwartungsvoll grinsend an. «Na? Was hat sie diesmal erzählt – noch so eine Weisheit?»
Rorie zieht abermals das gleiche Ritual durch – scharrt mit den Füßen, zupft sich an der Hosennaht, dreht den Hut in der Hand herum –, und dann sieht er Ailie direkt in die Augen. «Sie sagt, sie hat ihren Mann an ihrer Seite, und das sei ja wohl das Beste, was sich eine Frau wünschen könne.»
Die einzelnen Worte treffen sie wie Hammerschläge, lauter Pfähle, die ihr das Herz durchbohren. Der alte Mann nickt und lächelt dazu – die obszöne, feuchtlippige Parodie eines Lächelns, das seine gelben Zähne und die abgestorbene weiße Zungenspitze entblößt. Und seine Frau, die alte Vettel, keckert wie eine überdrehte Uhr und kämpft sich aus dem Stuhl heraus. Ailie fühlt sich wie eine Gefangene in einem Traum, fühlt sich, als hätte jemand ihr einen bösen Streich gespielt, fühlt den stinkenden Atem des Universums in ihr Gesicht pfeifen, und sie hat Angst. Das Grinsen ist ihr vergangen.
Georgie, der spürt, daß etwas schiefgelaufen ist, nimmt ihren Arm und führt sie zur Tür, dabei nickt er dem Mann zu und drückt ihm noch eine Münze in die Hand. Beunruhigt klammert sich Thomas an seine Mutter, als wollte sie ihm jemand entreißen. Rorie ist rot angelaufen und konzentriert sich auf sein Schuhwerk. Erschüttert, wütend und verwirrt tritt Ailie hinaus in die triefnasse graue Luft und schöpft tief Atem; sie fragt sich, was eigentlich los ist und warum sie der harmlose Scherz eines alten Weibes so aus der Fassung bringen konnte.
Auf einmal zerrt etwas an ihrem Ellenbogen. Sie dreht sich um. Die alte Frau, über ihre Krücke gebeugt wie ein wandelndes Fragezeichen, sieht sie mit der hellwachen, verschlagenen Miene eines Raubvogels an. Das trübe Licht ist blendend grell. Irgend etwas stimmt mit der Lippe der Vettel nicht, eine Narbe, als ob … als ob sie einmal durchbohrt war, wie die von Bubi. Ailie zuckt instinktiv zurück, und die Hand der Alten schießt vor, um Thomas den Kopf zu tätscheln, ihm die Wange zu streicheln, und die gebrochene, heisere Stimme hat das letzte Wort.
Ailies Gesicht brennt wie Feuer. Sie blickt zu Rorie, der in der Tür steht, hinter seiner Schulter erscheint der kugelrunde weiße Kopf des alten Mannes.
Der Verwalter befeuchtet sich die Fingerspitzen und streicht die Kappe auf seinem Kopf glatt. «Sie hatte auch einmal einen Jungen wie ihn, sagt sie. Er ist ihr weggerannt.» Man sieht keine Bäume, keine Büsche mehr, es ist dunkel geworden, der unsichtbare See tief unten in der Schlucht brüllt mit tausend Stimmen. Die Alte steht schwankend auf die Krücke gestützt, sie rollt mit den Augen und reibt sich die weißen Barthaare auf dem Kinn. «Sie sagt, Sie sollen gut auf ihn aufpassen.»
Auf dem gewundenen Weg durch den sich verfinsternden Wald, beim Quietschen der Sättel und im stillen Nebel, der Knie und Ellenbogen umschlingt, hören sie noch langeden messerscharfen Ton im Gelächter der Alten, das die Nacht zerschneidet.
Der letzte Tag ihres Urlaubs in Avis House dämmert herauf wie eine verfrühte Vorahnung des Juli, heiter und wolkenlos, die Luft ist schwer von langsam herankriechender Hitze, als hätten die Jahreszeiten irgendwie gewechselt, als wäre die Erdachse abrupt ein Stück weiter gerutscht, die Sonne lodert auf wie ein Reisigbündel, das man auf glühende Kohlen wirft. Ailie ist schon in aller Frühe auf, wie berauscht von der Textur der Luft, dem Duft der Osterglocken und dem Summen der Bienen. Als sie so am Fenster steht und über Loch Ness blickt, kann sie eine leise Wehmut nicht unterdrücken, etwas in ihr sträubt sich gegen den Gedanken an die Abreise, an die Rückkehr zur Langeweile des gewöhnlichen Lebens. Natürlich vermißt sie ihren Vater und die Kinder, und ein bißchen sogar die geruhsame Häuslichkeit des Alltags von Selkirk – sie ist nur noch nicht ganz bereit für die Heimkehr. Das hier ist Abenteuer, das ist Leben, danach hat sie sich schon immer gesehnt. Zu Hause hat sie nur ihre Pflicht gegenüber dem Gatten, den Kindern, dem Vater und ihre Rolle als ewige Ehefrau des abwesenden Heiligen und Märtyrers.
Auf dem Rasen sitzen Spatzen und Stare. Über dem See schwebt ein Goldadler in der
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