Wassermusik
Fochabers und Cawdor, machen an Schenkenund Landgasthäusern Halt zu Erfrischungen, lassen sich am Wegesrand Zeit für Kuriositäten, wie zum Beispiel Dunbuy Rock und Gordon’s Castle. Entzückt preßt Ailie das Gesicht ans Fenster, sieht hinaus auf die sturmgepeitschte Küste mit den Krüppelfichten, den kleinen Tannen und den Haufen runder Findlinge. Thomas, das Jahrhundertkind, ist fast sechs. Er hängt quengelnd am Ärmel seiner Mutter, das Schwanken und Schaukeln der Kutsche behagt ihm gar nicht, und er unterbricht Georgies delirierenden Monolog immer wieder mit urtümlichen Schreien und sonoren Fürzen. Er sieht haargenau wie sein Vater aus, bis in die letzte Einzelheit. Mrs. Quaggus, die Trauer trägt («Der arme Tyrone: sein Herz hat schlappgemacht, als er eines Abends mit Erzbischof Oughten eine Portion Weincreme wegputzen wollte – es war nämlich so eine Art Wette mit Einsatz; dabei hätte Tyrone doch glatt gewonnen, weil der Erzbischof kaum mehr als sechs oder sieben Glas vertragen hätte, und mein seliger Gatte war schon beim zwölften – dem
zwölften –
, als ihn der Herr zu sich rief …» . [ein Seufzer] «Er hätte wohl besser einen Erzbischof nicht zum Spiel verleiten sollen …»), sitzt am anderen Fenster, steif wie ein Hutständer. Von Zeit zu Zeit badet sie ihren Sohn in einem Blick glühenden Mutterstolzes, als wäre er ein wahrer Molière an Scharfsinn, der reinste Hippokrates an Verstand und Können. Betty, inzwischen Ende Zwanzig, immer noch ledig und mit einer Nase wie ein Gartengerät, gibt sich große Mühe, huldvoll auf Georgies pausenlosen Wortschwall einzugehen, während Georgie seinerseits schon durch Ailies Anwesenheit so aufgedreht ist, daß er auf dem ganzen langen Weg von Selkirk nach Drumnadrochit den Mund einfach nicht halten kann, auch wenn er mit Zwiebeln und Haferplätzchen vollgestopft ist.
In Inverness übernachten sie in «Mackenzie’s Inn», wie vor ihnen Boswell und Dr. Johnson, und Ailie ist derart aufgeregt, daß sie weder die roh gezimmerten Möbel, die vertrocknetenFliegen in den Ecken noch den zähen Ledergeschmack des Hammelkleins bemerkt. Wichtig ist ihr nur, daß Loch Ness, der sagenhafte See, keine drei Meilen mehr entfernt ist. Sie deckt ihren Sohn gut zu, reißt dann die Fenster weit auf und sieht hinaus auf die Bäume im Zwielicht, der scharfe, feuchte Duft des nahen Wassers steigt ihr schon in die Nase. Sie hört den fernen Ruf des Eistauchers, und dann schlüpft der Mond aus dem Griff der Äste. Voller Flecken und Muster, genau derselbe Mond, der über Selkirk scheint, doch hier sieht er irgendwie anders aus, als wäre er neu erschaffen, als wäre er etwas Magisches, ein Zeichen am Himmel. Sie schläft wie eine narkotisierte Prinzessin.
Am Morgen nehmen sie die Straße nach Drumnadrochit, die sich durch Birken- und Kiefernhaine schlängelt, unter ihnen erstreckt sich das Loch wie ein großer, glitzernder Meeresarm. Ailie weidet die Augen daran, und ein seltsames Gefühl der Erfüllung, die Gewißheit des richtigen Tuns, überkommt sie. Endlich unternimmt sie ihre eigene Expedition, geht sie selbst ein bißchen auf Entdeckung. Bei dem Gedanken muß sie lachen – die Frau des Entdeckungsreisenden auf Entdeckungsreise –, und Mrs. Quaggus hebt die Augenbrauen, als würde sie den Scherz auch gern verstehen. Ailie kann sich an keinen glücklicheren Augenblick erinnern.
In Avis House begrüßt sie die überschwengliche und nach Konversation lechzende Fiona Gleg, eine rothaarige Frau in bauschigem Wollpullover, die das Personal beiseiteschiebt, um sie einen nach dem anderen zu umarmen, gleich auf der Eingangstreppe. Sie können kaum Atem holen, da läßt sie schon eine Kaskade von Fragen, Ansichten, Bemerkungen und Vermutungen los, die die ganze Bandbreite von Onkel Silas’ Ekzem, dem schauderhaften Essen bei «Mackenzie’s», dem Baustil von Cawdor Castle – so ein Kitsch, was? – bis hin zu dem enttäuschend kleinen DunbuyRock und der merkwürdigen Augenfarbe des kleinen Thomas umfassen. Im holzgetäfelten Vestibül huschen Diener mit Koffern, Taschen und Hutschachteln hin und her, und Cousine Fiona schenkt Ailie ein breites, feuchtes, mütterliches Lächeln. «Mrs. Park», rollt sie (es klingt, als sagte sie Mrs.
Paddock)
, «ich hab schon so viel von Ihnen gehört – der junge Arzt hier redet ja von nix anderem mehr –, und ich möchte Ihnen sagen, wie ich mich freue, wirklich, und ich heiße Sie in Avis House ganz
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