Wassermusik
an, ihr Gang und Blick und ihre flinken, klugen Hände sind ein Urbild von Europa und der ganzen geschriebenen Geschichte. Sie wissen einfach, daß der Fluß die Richtung ändern wird. Sie wissen, daß Landkarten und Hosen und Pökelfleisch irrelevant und die weißen Männer Dummköpfe sind. Sie sind geduldig. Sie sind zufrieden. Sie halten die Augen offen.
Währenddessen treibt das große schwarze Kanu mit dem Strom. Tagsüber blendet die grelle Sonne auf dem Wasser, die ganze Welt steht in Flammen, weißglühend, auch die Hügel erfaßt der Brand. Nachts hallt das Ufer von gespenstischen Echos wider – ersticktem Gebrüll, Schreckensschreien, dem unirdischen Kichern der Hyänen –, und im Wasser brodeln fürchterliche Explosionen, fremdartige, riesenhafte Untiere treiben dort in den Tiefen ihre Kapriolen und strecken ihre großen schuppigen Schwänze in die Luft, um die Unachtsamen einzufangen.
Eines Nachts, im Licht eines so hellen Mondes, daß er die Wasseroberfläche einfärbt und einen kühlen, diffusen Schein auf Bäume, Sträucher und chaotische Felsblöcke wirft, werden sie von markerschütternden Schreien und Knurrtönen irgendwo weiter vorn aufgeweckt. Urtümlich, mißtönend, schauererregend, der Lärm einer blutgierigen Horde von wild knurrenden, schnappenden Mäulern, das Geräusch von Wölfen, die sich eine Beute streitig machen. Aber das ist nicht alles: man ahnt noch etwas anderes, etwas weitaus Schauderhafteres. Beim Näherkommen wird es ihnen allmählich klar: es sind menschliche Stimmen, die da in dem Getöse aufschreien.
Jetzt sind alle wach – sogar M’Keal – und starren in dieFinsternis, vor Entsetzen wie angewurzelt. Der Klang von zerfetzendem Fleisch, knackenden Knochen, verstümmelte Hilferufe: sie martern die Nerven wie Salz und Brennesseln, so unerträglich und unzulässig wie der Gedanke an den eigenen gräßlichen Tod. Ned wendet sich ab, dem Entdeckungsreisenden dreht sich der Magen um. Sie sehen nichts. Eine bange Minute verstreicht, dann noch eine, die Nacht ist erfüllt von dämonischem Knurren und gepreßtem, atemlosem Wehklagen, als hätten sie, die armen Sünder, irgendeine unsichtbare Grenze überschritten und trieben nun die langen Strudel der Zuflüsse von Acheron und Lethe hinab. Auf einmal ruft einer der Männer: «Da! Am rechten Ufer, direkt vor uns!»
Der Mond bewölkt sich, alles wird unklar und körperlos, zugleich da und nicht da. Dann kommt Bewegung und Leben in die Schatten, und das Knurren schwillt in einem wilden Crescendo an, das in einen einzigen Atemzug und eine plötzliche Explosion von Licht ausläuft: eine Fackel erhellt die Dunkelheit. Unstet und flackernd beleuchtet sie die schwarzen, buckligen Gestalten von Hunderten geifernder. zähnefletschender Dämonen: Hyänen. Klauen und Schultern und aufgerissene schwarze Mäuler – Hyänen, Kindesmörder, Leichenfledderer, die an der eigenen Spucke würgen. Gegen sie kämpft ein einzelner Mann – vielleicht ein fahrender Händler –, er steht vor dem ausgeweideten Kadaver seines Kamels, schwingt die Fackel wie ein Erzengel sein Schwert, während hinter ihm eine Frau und ein Kind kauern, in den Strudel eines bösen Traums gerissen.
Tief geduckt kommen die Grabräuber näher, wimmeln über den Kadaver wie Fische bei der Fütterung, reißen sich grauglänzende Darmschlingen heraus, andere huschen aus dem Schatten hervor, drängen in die Schlachtlinie, ihre Augen glitzern vor Gier und einem Hunger, den keine Nahrungsmenge jemals stillen kann. Der Mannweicht zurück, geht im Kreis, während die Frau das Kind an sich drückt, als wäre es schon in Stücke gerissen, und mit einem Stück Feuerholz herumfuchtelt. Eine kurze Zeitlang wirkt der Kampf ausgewogen. Dann jedoch, in einem abrupten, unwiederbringlichen Augenblick, geht die Fackel aus, und die brodelnde Woge von Schnauzen und Mähnen wirft sich auf sie, die gebrochenen Schreie verlieren sich bereits im anschwellenden Lärm des streitlustigen Knurrens und der aneinanderschlagenden Kiefer.
Die
Joliba
treibt weiter, vorbei an knirschenden Zähnen und krachenden Knochen, nach Norden, der Unterwelt entgegen.
TIERISCHES VERLANGEN
Die Stimme von Hochwürden MacNibbit ist körperlos und hat eine tiefe, sichere, liebliche Ausstrahlung, die Macht und Verheißung durch das Kirchenschiff fluten läßt, der Stachel der Vorahnung und der Balsam der Tröstung liegt darin. «Und ob ich schon wanderte im finstern Tal», poltert er, wobei er den großen,
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