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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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    Falls der Alte ihn verstanden hat, so hat es jedenfalls keine Wirkung, außer daß er den Kopf zur anderen Schulter neigt, als betrachtete er ein Schiff mit Schlagseite oder legte sich eine unsichtbare Violine an. Seine Lippen sind schmal, die Augen wie geschlossene Fensterläden. Langsam und zögernd, wie jemand, der auf ein Klopfen öffnet und draußen niemanden vorfindet, will er die Tür wieder schließen. Rorie Macphoon ist bisher im Hintergrund geblieben, um die Ponyzügel zu halten; als er nun vortritt, macht das Gesicht des alten Häuslers eine Verwandlung durch: sah er eben noch verwirrt oder einfach nur beschränkt aus, so geht jetzt eine ganze Serie menschlicher Emotionen über seine Züge. Ailie sieht, wie das anfängliche Begreifen einem härteren Ausdruck weicht, einem Ausdruck von Ärger und Groll, der seinerseits dem verschlagenen Glitzern der Habsucht Platz macht und schließlich zu einer Art Armesündermiene von kriecherischer Ergebenheit wird. Georgie Gleg, der Mediziner aus Edinburgh, drückt dem Alten eine halbe Crown in die Hand, und sie betreten die Hütte.
    Drinnen starrt sie eine riesenhafte gescheckte Katze vor dem Ofen an, ihre Augen haben die Farbe von Cheddar-Käse. Reglos, als wäre sie aus Wachs, döst daneben eine alte Frau auf einem Stuhl, der aus einem Baumstumpf geschnitzt ist. Eine quer über zwei Stapel Pflastersteine gelegte Eichenholzbohle dient als Bank, und an der hinteren Wand steht direkt auf dem Boden ein schiefes, dick mit Heidekraut gepolstertes Bettgestell. Sonst hat der Raum keine Möbel. Im fahlen Schein des Herdes und dem schwachen grauen Licht des Fensters erkennt Ailie schäbiges Inventar: in der Ecke eine Krücke und eine rostige Hacke, auf dem Boden gebündelte Gerstengarben, einen Haufen Torf, Zwiebeln an einer Schnur, einen hölzernen Waschzuber. Ein Vorhang aus Weidenruten trennt ein niedriges, höhlenartiges Hinterzimmer ab, aus dem beißender Uringestankund gelegentlich ein abgehacktes Ziegenmeckern dringt. Traurig, denkt Ailie. Jämmerlich. Eher heruntergekommen als idyllisch. Verlegen tritt sie von einem Fuß auf den anderen, lauscht dem Wasserlassen der Ziegen und fragt sich, warum in aller Welt Fiona sie wohl zu diesem miesen Loch geschickt hat.
    «Naja», sagt Georgie dröhnend. Er wärmt sich die Hände über dem Torffeuer und spricht den alten Mann an: «Ihr wohnt also hier, was?»
    Überrascht nickt der Häusler und geht einen Schritt zurück. Die Truthahnlappen unter seinem Hals haben zu beben begonnen, und nun versucht Rorie eine Art Erklärung, die mit der mehrmals wiederholten Wendung «Mr.   Gleg» beginnt und von vielen
Ähs
und
Hms
durchsetzt ist – dabei scharrt er unsicher mit den Füßen und zupft sich an der Hose   –, als sich auf einmal ein dissonanter Wortschwall über sie ergießt. Die alte Frau, bucklig und verkrüppelt und auf einem Auge blind, ist zum Leben erwacht und hält ihnen einen Vortrag auf gälisch, der Muttersprache der Hochländer. Und ein Vortrag ist es wirklich – sie redet und redet, aufgedreht wie eine mechanische Puppe, ihr gesundes Auge hüpft in der Höhle herum, und sie hält ein richtiges Referat, bei dem jedes einzelne Wort absolut unverständlich ist. Irgendwann nach gut fünf Minuten endet sie mit einem schrillen, wilden Lachen, das wie Wind in der Regenrinne klingt und in einem Hustenanfall verebbt.
    «Was hat sie gesagt?» fragt Georgie, an Macphoon gewandt.
    Thomas, den die ganze Szene eingeschüchtert hat – das Zwielicht, der Gestank, die vage Bedrohlichkeit   –, klammert sich an den Rock seiner Mutter, und Ailie muß sich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Welch ein Gedanke: Fiona findet das
idyllisch?
    Rorie dreht seinen Hut in der Hand, zaghaft wie einSünder an der Himmelspforte, räuspert sich und senkt den Blick. «Sie meint, sie ist die glücklichste Frau der Welt.»
    Das ist zuviel. Sie kann sich nicht mehr beherrschen. Plötzlich verliert Ailie die Kontrolle über sich und platzt vor Lachen; es beginnt mit einem halb unterdrückten Glucksen und baut sich zu Serien von luftraubenden Keuchern auf. Nickend und grinsend nimmt die alte Hausfrau eine Prise Schnupftabak und lacht mit, hysterisch, spitz und jaulend, ein Lachen wie Messer, die am Schleifstein kratzen. «Die glücklichste   …», ächzt Ailie, hält sich dabei den Bauch und bringt die Worte nicht heraus.
    Und dann schnattert die Alte weiter – ihre Stimme ist schartig und heiser – in dieser seltsamen,

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