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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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diese Knöchel und diese Stiefel, der Riß in der Hose dort: sie sind ihm bekannt. Sogar vertraut. Ja, so schließt er, sie gehören zu NedRise, und folglich stehen der zersplitterte Schädel und die verschwiemelten Augen, die diese Phänomene – wenn auch unzulänglich – wahrnehmen, auf irgendeine Weise mit ihm in Beziehung.
    Er setzt sich auf, lange Pause, dann erhebt er sich. Offenbar hat er in verschossenem Stroh gelegen. Auf seinem Hut. Er bückt sich, um ihn aufzuheben, torkelt vorwärts und findet mit einem definitiven Rülpser sein Gleichgewicht wieder. Der Hut ist hin. Er bleibt einen Augenblick stehen, nimmt eine meditative Grundstellung ein, irgend etwas pocht in seinem Hinterkopf. Dann mustert er das Zimmer durch halbgeschlossene Lider, wobei er sich ein bißchen wie ein Entdeckungsreisender auf einem neuen Kontinent vorkommt.
    Er ist in einem Keller, gar keine Frage. Da ist der gestampfte Erdboden, ein Schrubber im Eimer, Wände aus unbehauenem Stein. An der hinteren Wand eine Doppelreihe verplombter Fässer: Madeira, Portwein, Dão, Claret, Rheinweißer. In der Ecke ein paar Schaufeln Kohlen. Ob es wohl die Niederungen der «Sauf & Syph-Taverne» sind? In diesem Moment entdeckt Ned, daß er nicht allein ist. Andere Gestalten, möglicherweise menschliche, belegen Strohmatten, die hier und da auf dem Boden liegen. Man hört Schnarchen, Stöhnen und ein Gurgeln wie Regen in der Rinne. Begleitgerüche nach Urin und Erbrochenem hängen schwer in der Luft.
    «Aha, biste schon auf, ja?» Eine fast kahlköpfige Alte, ihr Gesicht ein Memento mori, spricht ihn an; sie sitzt hinter einer über zwei Oxhoftfässer gelegten Planke. Ein schmaler Goldring hängt an ihrer Unterlippe wie eine Speichelblase. «Naja. Guten Morgen, der Herr», sagt sie. «Ha-haaa! Gut geruht, will ich hoffen. Wie wär’s mit’m kleinen Schlückchen, damit der Tag gleich richtig anfangen tut?» Zwei Zinnmaße so groß wie Eierbecher und ein Terrakotta-Krug stehen als Stilleben auf der Planke. EinSchwein liegt unter der provisorischen Theke auf der Seite, seine wulstige Kieferpartie von einem umgekippten Nachttopf verdeckt. Hogarth hätte das Motiv großartig gefunden. Ned will bloß wissen, was vergangene Nacht passiert ist.
    Plötzlich quietscht die alte Vettel auf, als hätte man sie erdolcht, ein langes, kratziges Einatmen: «Iiiiiih!» Das Pochen in Neds Hinterkopf wird zu einer ganzen Serie von Schlegelwirbeln, zum Donnergrollen, zum Dröhnen einer riesigen Baßtrommel. Aber Moment mal. Die Alte kriegt gar keinen Schlaganfall: sie lacht nur. Jetzt hustet sie, krächzt und klatscht auf die Planke, bis ihr ein langer gelber Schleimstreifen aus dem Mundwinkel hängt und zähflüssig auf das Holz trieft. «Hast dir   …», keucht sie, «…   hast dir wohl die Zunge verschluckt, Firsichgesicht?»
    Hinter ihr hängt ein Schild an der Wand, die Buchstaben in spastischer Handschrift hingekrakelt:
     
    BETRUNKEN FÜRN PENNY
    STURZBESOFFEN FÜR ZWEI
    SAUBRES STROH GRATIS
     
    Ned schneidet ihr eine Grimasse. «Scheiß auf dich und deine Mutter und deine wassersüchtige Hexenbrut, du skrofulöse Nutte mit Fußballtitten!» ruft er und fühlt sich schon viel besser.
    «Iiiiiiiih!» kreischt sie. «Kein Sinn für Mutter Genevers Lixir, was? Gestern abend hat’s dir noch ganz gut gefallen   … Na los, laß Mama mal deine Männlichkeit sehn – vielleicht tut’s doch noch Heilung geben für dich.» Lüstern hebt sie die Röcke hoch, spindeldürre Beine und ein vergilbter Busch Haare wie die Auflösung in einem Schauerroman.
    Linker Hand führt eine Treppe mit morschen Stufen hinauf zu einer Tür nach draußen, durch deren Ritzen Neddas kalte Licht der Morgendämmerung erkennt. Er flucht, weil er seinen Atem auf die verrückte Hexe verschwendet hat – schließlich hat er noch was vor heute nachmittag   –, und er geht die schwankenden Stufen zur Tür hinauf.
    «Iiiiiih!» kreischt die Alte. «Gib acht, was du anziehst, Tuntenkönigin!»
    Ned macht noch eine obszöne Geste zu ihr rüber, rafft den zinnoberroten Umhang eng um sich und stößt die Tür zur Maiden Lane und zum Tageslicht auf. Hinter ihm, aus der Tiefe, kommt noch ein gebrochenes Kreischen wie eine verstimmte Bratsche: «Nimm dich in acht, nimm dich in acht, vor des Henkers Krawatt’!»

BEVOR MEIN LICHT ERSTIRBT
    Die Maschine zum Auslöschen des Augenlichts besteht aus zwei Messingbändern und sieht aus wie eine Art umgekehrter Keuschheitsgürtel. Das eine Band führt in

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