Wassermusik
betäubender Schwinger knapp unters linke Ohr, und jetzt packen ihn Hände unter den Achseln, zerren an seinen Stiefeln, an den Knöpfen seiner Hose …
Es ist dunkel und still. Regen sickert flüsternd durch die Bäume. Das Pferd ist tot, der Esel weg. Von Johnson ist kein Laut zu hören. Mungo liegt auf dem Rücken im Matsch des Urwaldbodens, nackt wie bei der Geburt, seine Knochen sind anscheinend an mehreren Stellen gebrochen, und er hat das alles restlos satt. Hat das Entdecken satt, hat Afrika satt. Und es macht ihm zu schaffen, daß er hier alleine in der Finsternis liegt, schutzlos und voller Angst. Er kommt auf einen Ellenbogen hoch, was seinGesicht vor Anstrengung verzerrt, und sieht sich um. Nichts. Das Dunkel ist so absolut und undurchdringlich, als hätte die Erde ihr Innerstes nach außen gekehrt. Aber was ist das? Eine Bewegung im Busch, ein Blätterrascheln. «Johnson?»
Keine Reaktion.
Er versucht es noch einmal. «Johnson – bist du das?»
Diesmal bekommt er eine Antwort, aber nicht die, die er sich gewünscht hat. Ein Knurren, leise und bedrohlich, zerfetzt die Nacht. Ein Knurren, so barbarisch und willkürlich wie der Urwald selbst, so rauh und grausam wie die Geburt des Bösen.
FANNY BRUNCH
Eines unwirtlichen Nachmittags, der Regen klatschte gegen die Scheiben von Nummer 32 am Soho Square, und Sir Joseph Banks, dem noch die Wirbelsäule ächzte von den Schlägen, die ihm kurz zuvor im Schwedischen Bad verpaßt worden waren, erstieg gerade mühsam die Stufen zur Eingangstür, als das Stubenmädchen – ein altes Muttchen mit dicken Waden, das seit siebenundzwanzig Jahren in seinen Diensten stand – von einer fulminanten Attacke des Gehirnfiebers dahingerafft wurde. Sie war eben dabei, im Salon für Lady Banks und Miss Sarah Sophia den Tee zu servieren. Der Tee war in einer silbernen Kanne zubereitet, die auf einem Silbertablett stand. Das Geschirr war aus Sèvres-Porzellan. Als die arme Betty Smoot sich gerade mit der Kanne über ihre Herrin beugte, fuhr sie blitzartig hoch, als hätte sie etwas in den Hintern gestochen, grölte aus vollem Hals zwei Strophen eines schweinischen Säuferliedes und kippte dann mausetot um.
Zwei Tage später hatte sich Lady Banks so weit erholt, daß sie die Lage mit ihrem Gatten besprechen konnte. «Jos», sagte sie, «wir brauchen ein neues Stubenmädchen.»
Sir Joseph ging eben die Zeitung nach Neuigkeiten über die portugiesische Expedition zur Bucht von Benin durch.
«Die Köchin hat eine Cousine in Hertfordshire. Oder eine Schwester oder so. Jedenfalls haben die ein Mädchen, das dringend eine Stelle sucht. Ich glaube, es ist die Tochter der Cousine unserer Köchin. Oder von ihrer Schwester. Ist allerdings recht jung. Siebzehn. Aber wie ich schon zur Köchin sagte, ein wenig junges Blut würde dem Haushalt nicht schaden.»
Sir Joseph blickte kurz auf. «Wie heißt die Kleine?»
«Brunch», sagte Lady B. «Fanny Brunch.»
Fanny Brunch kam frisch aus der Molkerei. lhr heißer Atem roch nach Milch, und es lag ein Wispern von warmem Stroh, Brustwarzen und dem Dunkel des Mutterleibs darin. Ihre Haut war Sahne, ihre Brüste Käselaibe, in ihrem Lächeln lag schmelzende Butter. Als sie fünfzehn war, schlugen zwei Bauernlümmel einander ihretwegen tot. Mit Hacken. Im Jahr darauf entführte sie der Gutsherr der Gegend und band sie in seinem Bett fest. Sie fanden ihn im Nachthemd, das Bett ein Meer von Federn, Fannys Hinterbacken von roten Striemen gezeichnet. Daraufhin beschlossen ihre Eltern, bettelarme, aber fleißige Leute, die an das Gute im Menschen und an Gottes Reich auf Erden glaubten, sie solle sich zu ihrem eigenen Schutz als Dienstmädchen verdingen. Der Tod der Betty Smoot war ein Geschenk des Himmels.
Fanny war gutmütig und naiv. Ihr Lächeln war ein Weizenfeld im Sonnenschein, sie huschte auf leisen, himmlischen Füßen durch das Haus. Für Lady Banks war sie, nach siebenundzwanzig Jahren Smoot, ein Frühlingshauch. Sir Joseph, mit der Afrika-Gesellschaft und dem Schicksal des letzten seiner verschollenen Entdecker vollauf beschäftigt, nahm ihre Gegenwart kaum wahr. Das konnte ihr nur recht sein – es hätte ihr gerade noch gefehlt, sich eines alten Geilspechtserwehren zu müssen, noch dazu in dessen eigener Höhle. Die Köchin liebte sie heiß. Byron Bount, der Butler, versuchte eines Nachmittags, an ihrem Unterarm zu lecken, als sie sich die Ärmel hochgekrempelt hatte, aber die Köchin kurierte ihn rasch, indem sie seine
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