Wassermusik
Kopf. «Aber Sie sind doch Entdeckungsreisender. Der erste Weiße, der hierherkommt, um zu berichten, wie es hier ist. Ein Entlarver von Legenden, Bilderstürmer, Chronist der Wirklichkeit. Wenn Sie darin nicht peinlich genau bis ins kleinste Detail sind, dann sind Sie’n Schwindler, tut mir leid, das zu sagen.» Johnson spricht mit lauter Stimme. Wütend schlägt er auf das verwesende Perlhuhn, von dem gleich ein Stück abbröckelt. «Ein Schwindler», wiederholt er. «Nicht besser als Herodot oder Desceliers oder all die anderen Lehnstuhlhelden, die das Innere Afrikas aus den vier Wänden ihrer Arbeitszimmer voller Bücherregale vermessen haben.»
«Also Johnson, jetzt bist du aber reichlich unfair. Ich erzähle ihnen doch Tatsachen – natürlich. Über die Geographie, die Kultur, die Flora und Fauna. Natürlich tue ich das. Dazu bin ich ja hier. Aber immer nur Tatsachen und sonst nichts … Ich sage dir, die englische Leserschaft würde da nicht mitmachen. Wenn sie Tatsachen wollen, können sie ja die Parlamentsberichte lesen. Oder die Todesanzeigen in der
Times
. Wenn sie was über Afrika lesen, dann wollen sie Abenteuer, dann wollen sie staunen. Sie wollen Geschichten, wie James Bruce und Richard Jobson sie ihnen geboten haben. Und genau das will
ich
ihnen auch bieten. Geschichten.»
«Na gut, Mr. Park, tut mir leid, daß ich das Thema angeschnitten hab. Im Grunde kann’s mir ja scheißegal sein, was Sie mit Ihrem Buch machen. Ich krieg’s sowieso nie zu sehen. Eigentlich nervt mich momentan eher, daß wir hier rumquatschen, während die Sonne da hinter den Bäumen versinkt, und im Urwald finden wir garantiert keine Möglichkeit, die ganzen Kauris auszugeben – also konzentrieren wir uns lieber auf den Weg und sehen zu, daß wir bald zum nächsten Dorf kommen, oder?»
«Kein Grund, gleich grantig zu werden. Ich dachte bloß, du willst vielleicht mal sehen, was ich vorhin so zusammengekritzelt hab, sonst nichts.»
Nach diesem Wortwechsel senkt sich eine ungemütliche, nagende Stille herab, durchsetzt von verschnupften Lauten und aggressivem Fliegentotschlagen, während die beiden in zunehmender Dunkelheit auf dem unkrautüberwachsenen Pfad dahinzockeln. Dann setzt auch noch ein monotoner, trostloser Regen ein, als hätten ihnen Hunger, Mißvergnügen und die allgemein miese Laune nicht schon gereicht. Stur schleppen sie sich weiter, und die Stille lastet schwer. Bäume ziehen vorbei, Bäume über Bäume, während sie immer tiefer in den grünen Schlund des Urwalds vordringen. Vor ihnen schält sich ein riesiger, lianenumschlungener Ceiba-Baum aus dem Dunst, und der Entdeckungsreisende will gerade anregen, in seinem Schutz ein Nachtlager aufzuschlagen, als er plötzlich von einem kräftigen Kinnhaken getroffen wird, der ihn vom Pferd reißt und in das klatschnasse Laub katapultiert.
Dort liegt er einen Moment lang und versucht die Situation zu erfassen, während ihm diverse Raubinsekten ins Hosenbein und den Kragen krabbeln. Dann hört er Johnsons Schrei. Er beginnt als ein Kreischen, von dem Milch sauer werden könnte, moduliert dann über sechs bis acht Oktaven abwärts und endet in einem gepreßten Keuchen. So wie die Dinge liegen, ist der Entdeckungsreisende nichtallzu neugierig, was ihn da eigentlich getroffen hat, aber er steht trotzdem auf, wobei er unschlüssig nach dem Messer tastet, das er manchmal im Gürtel stecken hat. Was muß er sehen? Eine Horde knapp 2,10 Meter langer Riesen, die mit Knütteln so dick wie Eisenbahnschwellen auf ein regloses Bündel einprügeln, das Johnson ist, während ein anderer Mungos Gaul mit einem einzigen, knochenzerschmetternden Hieb fällt. Man hört ein überraschtes, fragendes Wiehern, dann das donnernde Krachen, mit dem das Tier zu Boden stürzt.
Plötzlich blickt einer der Knüttelschwinger auf, zeigt mit dem Finger auf den Entdeckungsreisenden und brüllt:
«Tobaubo!»
Der Kerl, der das Pferd umgelegt hat, springt daraufhin mit einem Satz von dem Kadaver auf (wo er mit dem Plündern der Satteltaschen beschäftigt war). Mungo steht keine vier Meter von ihm entfernt. Er kann den Schweiß auf der Oberlippe des Mannes sehen, die Spitzen seiner angefeilten Zähne, den schwarzen Lederbeutel mit den Kaurimuscheln, den seine Faust gepackt hält. Fast instinktiv zieht der Entdeckungsreisende das Messer, und schon ist der Kerl mit einem Satz über ihm wie ein schwerer Mastiff, ein Schlag in den Solarplexus, ein zweiter in den Unterleib, dann ein
Weitere Kostenlose Bücher