Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
sie ihn umarmen – doch Gleg hob die hagere Hand.
    Immer noch grinsend, zitternd, platzend, ein Otter mit Fisch im Maul, zog er eine zweite Schachtel hinter dem Rücken hervor. Sie riß das Packpapier herunter. Ein hölzerner Kasten. Schwer. Sie stellte ihn auf den Küchentisch und stemmte ihn mit einem Messer auf – ein metallischer Schimmer – war das möglich?
    Es war ein neues Mikroskop von W. & S.   Jones, dreimal so stark wie ihr Schraubzylinder. «Aber Georgie, wie   …»
    «Mein Tantchen», sagte er. «Tante MacKinnon. Sie ist an der Wassersucht gestorben und hat mir eine bescheidene Erbschaft hinterlassen. Oder», er wurde rot, «vielmehr dir – damit du damit tust, was du willst. Alles, was ich habe, ist dein.»
    Trommeln. In ihrer Brust schlugen Trommeln. Sie flog durch den Raum, hüpfte und sprang, dann packte sie ihn an den durchgescheuerten, ausgebeulten Ärmeln und küßte ihn.
     
    Und deshalb sind die Haferkuchen angebrannt. In Wirklichkeit haben ja die beiden schuld. Sie war schon gleich beim ersten Licht aufgestanden, hatte in die goldglänzende Röhre gespäht, dem Animalicula-Ballett beim Proben zugeschaut, Hunderte in einem Stecknadelkopf, herumwinselnde, durchscheinende Wesen, mit farbigem Besatz an den Rändern wegen der chromatischen Aberration. Da gab es zylinderförmige Wesen und länglichrunde Wesen, die sich mit Härchen oder Schwänzen fortbewegten, Wesen, die ineinanderflossen und sich trennten und wieder ineinanderflossen. Und dann gab es die amorphen Wesen, die aussahen, als wären sie gerade aus großer Höhe herabgefallen, an allen Seiten von feinen Kerben umgeben, und über ihnen schwebte ein großer dunkler Fleck wie das Gelb imSpiegelei. Wie konnten sie von ihr erwarten, daß sie an Haferkuchen und Milchbrei dachte, wenn sie vor Entdeckerlust fast verging?
    Selbst jetzt am Frühstückstisch, während Gleg sich mit der Serviette die Lippen abtupft und ihr liebeskranke Seitenblicke zuwirft, während ihr Vater in seinen Tee rülpst, kann sie das schon völlig zerlesene Buch von Adams nicht beiseitelegen. Sie wünscht sich nur eines: daß sie endlich aufstehen und ihr Doktorstagwerk anfangen, damit sie sich in Ruhe dem Skizzenblock und ihren Beobachtungsgerätschaften widmen kann.
    Ihr Vater räuspert sich, schiebt den Stuhl vom Tisch zurück. «Gleg», knurrt er mit stark belegter Stimme, «geh schon mal und zäum die Gäule auf. Wir haben einen Besuch auf der Straße nach Fowlshiels zu machen.»
    Gleg steht linkisch auf, sein Knie kracht an die Tischplatte wie ein Hammerschlag, dann schlurft er durch die Tür.
    Inzwischen scheint die Sonne, ihre spitzen Klingen bohren sich durch die Vorhänge und setzen den Kopf des alten Mannes in Brand. Geräuschvoll schlürft er seinen Tee. Dann räuspert er sich von neuem, ein Ton wie beim Ausräumen eines Flußbetts. «Die kleine Katlin Gibbie hat sich doch verhochzeitet, oder?»
    Ailie sieht von ihrem Buch auf. «Das stimmt, Vater. Ist ja nicht mal zwei Wochen her, da hast du selbst der Braut die Füße gewaschen, einen Haferkuchen über ihrem Kopf gebrochen, einen Krug Whisky geleert, einen Highland-Reel auf ihrem Eßtisch getanzt und dabei aus voller Lunge ‹Ho-ho-hoch die Tassen!› gesungen – wenn ich mich nicht sehr täusche.»
    Der Alte lächelt – sanftmütig, väterlich und spitzbübisch, alles zugleich. «Ja, ich glaube mich an etwas in der Art zu entsinnen.»
    «Wieso fragst du mich dann?»
    «Tja, also   –» Er kratzt sich die Bartstoppeln unterm Kinn, verschränkt die Finger und streckt sich, dann blickt er ihr direkt in die Augen. «Sechzehn war sie, stimmt’s?»
    Ailie nickt.
    «Du wirst auch nicht jünger, Mädchen.»
    «Ich weiß, Vater.»
    «Hier gibt’s einen jungen Burschen, der ist in jeden Atemzug vernarrt, der über deine Lippen kommt.»
    Sie sieht weg, klappt ihr Buch zu und legt es auf einen Tisch. Als sie sich wieder zu ihm umdreht, starrt er sie immer noch an, voller Bedacht und Weisheit, voller Geduld und Überzeugungswillen. Ihre Stimme kommt gepreßt. «Ich weiß, Vater.»

AUS DEM TAGEBUCH DES ENTDECKUNGSREISENDEN
    Nach der Entdeckung jenes vielbesungenen und großartigen Flusses, der nach meinem Dafürhalten in jedem Ausmaße die Themse und selbst den Rhein übertrifft, begaben mein Faktotum und ich uns ohne Verzug zum Palaste des hiesigen Herrschers, des Mansong von Bambarra. Dort wurden wir mit einer Wärme und Höflichkeit empfangen, die uns das Herz so recht wieder froh machte, nachdem wir so

Weitere Kostenlose Bücher