Wassermusik
wissen warum, denkt er auf einmal an Gerenuks und Gazellen. Auf dem Weg schlägt sie die Augen nieder, aber sie erzählt ihnen, daß ihr Vater schon immer an weiße Menschen geglaubt hat, an Geister aus dem Totenreich, denen es die Seelen und die Hautfarbe ausgebleicht habe, und wenn ihr jemals einer erschiene, dann solle sie ihm höflich und mit Achtung entgegenkommen, denn er habe gewiß einen weiten Weg von seinem Dorf und seiner verlorenen Haut hinter sich. Mungo, der immer wieder von seinen eigenen Rülpsern und von Johnson durch diverse Tritte ans Schienbein unterbrochen wird, versichert ihr, all das wäre doch Unsinn und er sei schließlich ebenso lebendig wie sie, und außerdem sei er restlos zufrieden mit seiner Hautfarbe und sehe keinerlei Bedarf, sie irgendwie zu verändern. Sie reagiert darauf nur mit einem scheuen Blick und einem Grinsen, als hätte sie diese Ausrede schon öfter gehört.
Aisha führt sie zurück nach Kabba, aber in einen abgetrennten Kral außerhalb der eigentlichen Dorfgrenzen. Er besteht aus drei Hütten, umschlossen von Palisaden aus angespitzten Pfählen, die von Dorngestrüpp und blühenden Ranken überwachsen sind. Dort treffen sie auf ihre altersschwachen und erstaunten Eltern, dazu auf eine Serie von Schwestern, deren Alter wegen der vielen Falten und der fehlenden Zähne schwer zu schätzen ist, einen Bruder und dessen Frau und zwei erbärmlich wirkende Wachhunde. Aisha selbst gilt hier als Witwe. Ihr Mann, ein Verwandterdes
Duti
, ist vor sechzehn Monaten nach Norden gezogen, um eine Bande von Mauren zu verfolgen, die seine jüngste Schwester gekidnappt hatten. Aisha begriff zwar, daß es seine Pflicht war zu gehen, fühlte sich aber dennoch im Stich gelassen. Man hat seither nichts mehr von ihm gehört.
Einstweilen aber wird Ziegenmilch und Käse aufgetischt. Irgend etwas in einem Topf mit Spinat und Fischköpfen. Aisha breitet in der elterlichen Hütte Matten für sie aus. Johnson kratzt den Topf leer. Der Entdeckungsreisende, der sich etwas ausgelaugt fühlt, geht frühzeitig schlafen. Mitten in der Nacht weckt ihn Aishas Vater, der ehrfürchtige alte Patriarch, und hat jede Menge Fragen über das Leben nach dem Tode auf dem Herzen. Wie kann ein Geist seine Substanz bei sich behalten? Wird seine Haut von selber schwarz werden, oder muß er darauf warten, daß ein anderer stirbt, ein alter Mensch vielleicht, so daß er in dessen Haut hineinschlüpfen kann? Beim Schein des Feuers blickt Mungo in das verwirrte, verschreckte, hoffnungsvolle Gesicht auf, er ist so erschöpft, daß er die Antworten gerade noch murmeln kann, die Fragen werden langsam zu Träumen, die in seinem Kopf aufsteigen wie auf Sprossen einer Leiter, warum und wann und wo, und wie fühlt man sich als Toter?
MO O MO INTA ALLO
Im Laufe der Woche, die sie am Rand von Kabba verbringen, macht Johnsons Perlhuhn eine beachtliche Verwandlung durch: Wo einst faulige Fleischfetzen und struppige Federreste waren, ist jetzt blanker Knochen, bleich und trocken wie das Gabelbein einer Gans über dem Kaminsims. In den Gelenken ist es zwar noch etwas rosa und feucht, aber im Grunde hat es sich in ein hartes, starres Skelett verwandelt, relativ harmlos und nur noch für völligunkritische Fliegen interessant. «Sieht ja ganz gut aus», sagt Mungo. Johnson blickt an sich runter, fährt mit dem Finger über die zerbrechlichen Knochen, prüft die Gelenke. «Noch ’n bißchen naß in den Nähten. Aber Sie haben recht: Vielleicht hab ich das Ding am Ende doch besiegt.» Er strahlt wie ein Kind mit einem Lutscher. «Drei, vier Tage noch, länger dauert’s nicht mehr.»
Nach stundenlangen Debatten sind die beiden sich einig, daß ihnen nur ein einziger Weg bleibt, nämlich umzukehren, dem Lauf des Niger nach Südwesten zu folgen, dann nordwärts durch die Jallonka-Wildnis nach Dindiku. Von Aisha hat der Entdeckungsreisende eine Toga aus grobem Stoff bekommen (Bananengelb mit Klecksen von Rot und Anilin-Orange), dazu ein Paar Sandalen und einen Beutel Erdnüsse für die Reise. Ihr Vater, der ihm seit ihrer Ankunft nicht von der Seite gewichen ist, macht ihm einen Spazierstock zum Geschenk, dessen fein ziseliertes Muster die Häutungen nach dem Tode darstellt. Als Mungo fragt, wie er sich revanchieren kann, bittet der Alte ihn um eine Locke seines Haares als Talisman; Aisha wendet den Blick ab und zupft nervös an ihrem Ohrring, dann sieht sie ihn an, mit dunklen, runden Augen und bebenden Lippen.
Diesmal braucht er keinen
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