Wassermusik
Rippenstoß von Johnson.
Am Tag ihrer Abreise leiht sich Johnson einen Zettel von dem Entdeckungsreisenden, bringt rasch ein paar Couplets von Robert Herrick und John Donne zu Papier und verteilt sie an Aishas Familie, etwas für ihre
saphis
. Mungo sieht ungläubig zu, die rechte Hälfte seines Kopfes ist bis auf die Haut geschoren. «
Die Kleider der Julia
? Du meinst … du brauchst bloß ein paar Zeilen Unfug hinzuschmieren, und das reicht als Lohn für eine Woche Nahrung und Unterkunft – und denen genügt das?»
«Sie wären erstaunt über die Macht des geschriebenen Wortes, Mr. Park.»
Für das letzte Frühstück hat Aisha ein Gericht aus rohen Eiern, Hirse und Joghurt zubereitet, mit Tamarindenstücken angesäuert und mit Bambussamen als Ballaststoff versetzt. Während der Entdeckungsreisende ißt, sitzt sie neben ihm, hält seine Hand und streichelt ihm das verbliebene Haar. Der alte Mann sitzt beinahe ebenso dicht neben ihm und starrt ihn an, als wäre er alle sieben Weltwunder auf einem Haufen und der Enkel des Weltenschöpfers obendrein. Mit einer Stimme wie Maisblätter vom letzten Jahr fährt der Alte in seiner eschatologischen Befragung fort: Wo endet diese Welt, und wo beginnt die andere? Warum müssen wir sterben? Hungert die Seele, wenn sie dereinst vom Körper getrennt, immer noch nach Sex? Mit vollem Mund antwortet der Entdeckungsreisende dem Alten so geduldig und phantasievoll er kann, bis er schließlich aufgegessen hat und sich zum Aufbruch erhebt.
Doch gerade als er und Johnson ihre Siebensachen zusammensuchen, führt eine von Aishas Schwestern eine blinde Frau in die Hütte, eine Frau, die vom Alter so verbittert und geschlagen ist, daß neben ihr Aishas Vater aussieht, als hätte man ihn gerade aus dem Uterus gezerrt. Djanna-Geo ist aus Djenné gekommen, um den Entdeckungsreisenden über
Tobaubo dou
3 und das Leben nach dem Tode zu befragen und ihm von Geographie und Gesellschaftsformen des östlichen Nigerbeckens zu berichten. Der Entdeckungsreisende hatte jedem eine Strähne seines Haars geboten, der ihm Informationen über den Unterlauf des Niger und die Bewohner seiner Ufer geben könne – und damit großen Zuspruch gefunden. Ein Mann erzählte ihm, der Fluß führte ans Ende der Welt. Ein anderer, daß er in einem gewaltigen Mahlstrom ende, der alle Dinge in den wartenden Schlund einer Meeresbestie namens Karib-Disch risse. Der nächste wiederum meinte, er umflösse dieMassive des Mondes und seine Zuflüsse kämen aus dem Königreich Kong, einem wegen seiner Kannibalen und Riesenaffen, die seine wolkenverhangenen Bergketten durchstreiften, gänzlich unzugänglichen Land.
Andere, insbesondere ein Brüderpaar aus dem Salzhandel, gaben ihm offenbar verläßlichere Auskunft. Hinter Sansanding, so sagten sie, liege eine Stadt namens Silla, zwölf Tagesreisen von Timbuktu. Es sei eine Mandingo-Siedlung, doch Mauren träfen sich dort ebenfalls und trieben Handel. Nördlich von Silla liege das Königreich Masina, wo der Hirtenstamm der Fulah lebe. Flußabwärts, im Nordwesten, sei ein sumpfiger See – Dibbie, oder das dunkle Wasser –, dessen Ausdehnung so immens sei, daß man beim Hinübersetzen einen ganzen Tag lang das Land aus den Augen verliere. Hinter dem See, am Nordufer, komme dann Timbuktu, ein Ort, wo Edelleute in Palästen lebten und Goldbarren schissen. Der König von Timbuktu heiße Abu Abramma und sei ein mohammedanischer Eiferer. Bei ihrem ersten Besuch in dieser Stadt waren die Brüder für die Nacht in einer Art Gasthaus untergekommen, und als der Wirt ihnen ihr Quartier zeigte, hatte er plötzlich einen Strick hervorgezogen. Wenn ihr Muselmanen seid, hatte er gesagt, nehmt Platz und macht’s euch bequem – seid ihr aber Kaffern, so seid ihr meine Sklaven, und mit diesem Strick werde ich euch zum Markt schleifen wie zwei Kühe.
La illah el allah, Mahomet rassul Allahi,
hatten die Brüder intoniert.
Dennoch konnte ihm bisher noch keiner Konkretes darüber sagen, wie der Niger – oder Joliba, wie sie ihn nennen – weiter verläuft, nachdem er Timbuktu einmal verlassen hat. Seine letzte Hoffnung wankt in Gestalt dieser verwachsenen und höchstwahrscheinlich verrückten blinden Alten auf ihn zu. Die Feder gezückt, wartet er gespannt darauf, daß sie spricht. Umständlich ordnet die alte Frau ihre zaundürren Beine, ihre rechte Körperhälfte istvon irgendeiner namenlosen Seuche verschrumpelt, doch schließlich sitzt sie auf der Matte. Aisha bringt ihr
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