Wassermusik
einen Becher
sulu
-Bier, den sie runterkippt wie ein Bergarbeiter am Feierabend nach einer Acht-Stunden-Schicht. Sie schmatzt, läßt den leeren Blick durch den Raum streifen und verkündet, sie müsse kurz austreten.
Als sie in die Hütte zurückgehumpelt kommt, wobei sie sich mit all der Verzweiflung eines knapp vor einem Abgrund alleingelassenen Kindes an das Kleid von Aishas Schwester klammert, verlangt sie mit herrischer Stimme nach dem nächsten Bier und sagt dann, sie wolle den weißen Mann erst beriechen und sein Haar fühlen, bevor sie in den Handel einwillige, ihre Geheimnisse zu enthüllen. Der Entdeckungsreisende kauert vor ihr, die kühlen, trockenen Finger durchwandern seinen Skalp, die emsigen Nasenlöcher beschnüffeln sein Gesicht. Endlich, nach mehreren Minuten des Knetens und Schnüffelns, scheint sie zufriedengestellt.
«Tobaubo»
, sagt sie und kichert merkwürdig.
Sie redet eine Stunde lang, und ihre Stimme ist so klar und volltönend wie die eines Rummelplatzkeilers. Geboren in Djenné, wurde sie von Sklavenhändlern entführt und einem Kaufmann aus dem Königreich Haussa verkauft, das hinter Timbuktu liegt, weit dahinter – noch hinter Kabara und Ansongo und einem Dutzend anderer Orte, von denen weder Aisha noch ihr Vater je gehört haben. Nach acht Jahren im Serail des Kaufmanns entfloh sie zusammen mit einem Mandingo aus Kaarta namens Ibo Mino. Dieser wurde allerdings zwei Wochen später von einer Bande
maddummulo –
Menschenfressern – getötet und seziert, während sie selbst sich im Schlamm eines flachen Baches vergraben hatte und durch ein Schilfrohr atmete. Sie brauchte sechs Jahre, um sich zurück nach Djenné durchzuschlagen, wobei sie überlebte, indem sie gegen Nahrung und Unterkunft ihre Gunst offerierte.
In periodischen Abständen während dieses Berichtshält Djanna-Geo plötzlich inne, entläßt zwei bis drei donnernde Rülpser und ruft nach mehr Bier. Irgendwann hebt sie ihr totes, zerfurchtes Gesicht zu dem Entdeckungsreisenden auf und senkt die Stimme zu einem Zischen. «Es gibt eine Stelle im Fluß mit Namen Boussa», sagt sie, und ihr Zeigefinger beschreibt weiche Linien vor dem Gesicht, als male sie eine Karte in die Luft. «Ein Ort voll scharfer Felsen und weißem Wasser, wo der Fluß sich gabelt wie die Zungen von tausend Schlangen. Dies ist eine sehr gefährliche Stelle. Nimm dich in acht vor ihr.» Dann lehnt sie sich zurück und verlangt eine Strähne seines Haars.
Der Entdeckungsreisende, der das meiste ihrer Erzählung mitbekommen hat, zittert vor Aufregung, kann kaum noch die Feder halten, in seinem Kopf wogt der Lauf des Niger, tanzen die Namen ferner Orte: Kabara, Yaour, Boussa. Hier, zu guter Letzt, tönt die Stimme der Erfahrung. Ungeschickt kappt er eine Locke mit dem Knochenmesser, das ihm Aisha zum Abschied geschenkt hat, und drückt sie der Alten in die Hand, während die größte Frage auf seinen Lippen liegt: «Aber wohin fließt der Niger dann weiter – unterhalb von Boussa, jenseits von Haussa?»
Der kahle Schädel der Alten dreht sich ihm zu, steif und langsam, bis die bewölkten Augen in die seinen starren. Er spürt ihren Atem auf seinem Gesicht.
«Mo o mo inta allo»
, flüstert sie.
«Was war das?» Die Worte des Entdeckungsreisenden grabschen nach ihr. «Ich verstehe nicht.»
Sie grinst still vor sich hin, wie die Katze, die den Kanarienvogel gefressen hat, und rülpst leise. Der Entdeckungsreisende wendet sich an Johnson: «Was hat sie gesagt?»
«Sie hat gesagt:
‹mo o mo inta allo›
– das weiß kein Mensch.»
AUF DU UND DU
Die Flüsse gehen schwanger, überfluten Ufer, drücken Bäume platt, lassen Wildbäche entspringen. Der Regen strömt herab wie eine Glasscheibe, zerstiebt beim Aufprall in Scherben und Splitter. Der Monsun heult, Bäume lassen die Köpfe hängen. Was vorher Rinnsal war, ist nun zum Strom geworden, reißend und braun, in den Fluten geborstene Stämme, ertrunkenes Vieh, eingestürzte Hüttendächer. Felder sind überschwemmt, das Wasser steht hüfthoch, Sümpfe werden bodenlos. Die Frösche glauben, ihre Zeit sei gekommen, das Erdreich zu besitzen.
Nach einem langen, nassen Tag, an dem sie Sümpfe durchwaten und matschige Erdnüsse hinunterwürgen, werden der Entdeckungsreisende und sein Dolmetscher am Tulumbo aufgehalten, einem kleineren Nebenfluß des Niger – früher gab es hier vor der Mündung eine Furt. Ein Grüppchen armseliger, pitschnasser Hütten kauert auf einem kahlen Hügel an der Gabelung der
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