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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Entdeckungsreisende sieht hin. Durch die Vegetation ist eine Schneise geschlagen, als hätte jemand ein Ruderboot abgeschleppt: zerquetschte Schößlinge und Ranken, abgebrochene Zweige, plattgedrückte Pflanzen. «Na, und da sitzen wir hier noch rum, Mann – schnell hinterher! Ich hab schon seit Tagen, ach, seit Wochen kein Fleisch mehr zwischen den Zähnen gehabt.»
    «Geht nicht. Der hat sich das Vieh auf einen Baum raufgezerrt. Typisch für Leoparden. Sie fressen, bis sie satt sind, und den Rest verstecken sie möglichst hoch oben, wo Hunde, Hyänen und so weiter nicht rankommen. Einmal, da war ich noch ein Kind, haben wir nachts in der Hütte geschlafen, als ein Leopard meine Tante Tota weggeschleppt hat. Am nächsten Morgen sind wir sie suchen gegangen. Und ich, mit neun Jahren, hab sie gefunden. Sie klemmte oben in einem Baum, halb weggefressen, die Augen über und über mit Fliegen bedeckt. Als erstes hab ich ihren Kopf gesehen – der hing da wie ’ne Melone.»
    «Schon gut, ich kann’s mir ja vorstellen. Also, was machen wir dann – verhungern?»
    «Wir machen uns auf den Weg zu dieser Straße nach Kabba. Da betteln wir uns ein bißchen was zusammen, und dann überlegen wir, wie wir nach Dindiku zurückkommen.»
    «Zurück? Ohne daß ich meine Mission zu Ende bringe?»
    «Jetzt nehmen Sie bloß Vernunft an! Um ein Haar wär die doch hier schon zu Ende gewesen. Bei dem Regen wird’s Probleme geben, überhaupt irgendwohin zu kommen – Scheiße, vielleicht schaffen wir es nicht mal zurück. Außerdem kriegen wir es mit den Mauren zu tun, je weiter wir ostwärts gehen. Sansanding ist ’ne Maurenstadt, hat Ebo gesagt. Und Timbuktu auch. Die werden Sie da lebendig entnazarinieren. Wollen Sie das etwa wirklich?»
    Der Entdeckungsreisende schiebt das Kinn vor. Er läßt seine Gefühle sprechen. «Ich werde den Lauf dieses Flusses kartographieren, und wenn ich vorher nackt durch die Hölle tanzen muß.»
    «Äh, ich sag das ja ungern, Mr.   Park, aber Sie sind bereits nackt, und das hier ist der Hölle so nahe, wie Sie besser nie hoffen sollten, ihr je zu kommen.» Johnson macht eine Pause und grinst, bis seine Backenzähne aufblitzen. «Also fangen Sie schon mal an mit dem Tanzen.»
     
    In Kabba, einer Ansammlung von circa fünfzig Lehmhütten mit Tarnanstrich aus Tünche, geht Johnson auf den
Duti
2 zu, wirft sich vor ihm nieder und fängt an, sich mit vollen Händen Staub über den Kopf zu häufen. Der Entdeckungsreisende , völlig nackt bis auf den Hut und ein paar Fetzen Hemdbatist, in die seine Geschlechtsteile gewickelt sind wie in eine unförmige Windel, sieht aus gewisser Entfernung zu. «Almosen!» ruft Johnson kläglich. «Wir sind respektable Kaufleute, die von Wegelagerern überfallen wurden. Man hat uns unsere Waren und Kleider geraubt und, da für tot geglaubt, im Walde liegengelassen.»Der
Duti
betrachtet Mungo zweifelnd, wobei sein Blick von den dreckigen Beinen über die Fetzenwindel, die nackte Brust, den verfilzten Bart und die sonderbaren Augen wandert, bis er auf dem Ziehharmonika-Zylinder zur Ruhe kommt. Johnson packt den Mann an seinem Umhang und verfällt in herzzerreißendes Beben: «W-wir haben seit zwei Wochen nur Rinde und Gras zu essen gehabt. Eine Krume Brot, ich bitte Euch, nur eine Krume.»
    Der
Duti
geht in seine Hütte und kehrt im nächsten Moment mit einem angeleinten Hund zurück. Der Hund ist ziemlich groß und kräftig gebaut. Er hat mächtige, schiefgewachsene Kiefer, einen eher kleinen Schädel und eine Mähne, die an eine Hyäne erinnert. Zunächst denkt der Entdeckungsreisende, der Mann wolle ihnen den Hund schenken, und malt sich schon aus, wie die fleischigen Keulen auf dem Spieß brutzeln, mit Yamwurzeln gefüllt, auf einem Teller voll dampfendem Reis usw. Aber dann tut der
Duti
etwas Sonderbares: Er greift hinter sich und hat einen Wurfpfeil in der Hand – ein Gerät, das man eher mit verrauchten Kneipen und nassen Bierfilzen assoziieren würde   –, einen Knochenspieß, scharf wie ein Rasiermesser, mit Federbusch am Ende. Flink wie ein Zauberkünstler stößt er ihn dem Hund mehrmals in die Flanke. Dies hat zur Folge, daß das Tier sich augenblicklich in eine äußerst bösartige Hysterie hineinsteigert und sein ganzes Wesen sich auf fuchtelnde Klauen und gefletschte Schneidezähne reduziert. Nur die Leine hält es davor zurück, über Johnson herzufallen und ihn in Stücke zu reißen. «Zwei Minuten», überschreit der Mann die Proteste des Hundes, «dann

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