Wassermusik
nicht allein? «Johnson», sagt er.
Johnsons Stimme ertönt aus dem Nirgendwo, körperlos. «Irgendwelche Knochen kaputt?» Wie Versteckspielen im Kohlenkeller.
«Wo bist du?»
Bei der Berührung von Johnsons Hand zuckt er zusammen. «Na, hier, Mr. Park. Neben Ihnen.»
Jetzt sagt er es wie ein Verliebter: «Johnson.» Und dann: «Was ist mit dir – bist du in Ordnung?»
Als Antwort kommt ein Schwall gepreßter Laute – Krächzen, Spucken, Räuspern und Husten –, danach einlängeres Stöhnen und Keuchen. «Ich bin grade so kaputt wie nur möglich, ohne gleich reif fürs Bestattungsunternehmen zu sein – aber ungelogen.»
Die Depression schwillt wie eine Welle aus dem Nichts empor und überspült den Entdeckungsreisenden. Seine Schultern hängen herab, er friert zwischen den Beinen, seine Rippen schreien nach fürsorglicher Pflege. Und sein linkes Knie. Es scheint ausgekugelt zu sein. Als er spricht, ist seine Stimme kaum zu hören: «Was nun?»
«Wie, was nun?»
«Was machen wir jetzt?»
«Einen Baum suchen.»
«Einen Baum?»
«Raufklettern und das Tageslicht abwarten. Sie werden ja nicht mehr hier rumsitzen wollen, wenn dieses Katzenbiest sich seine Portion Pferdefleisch holen kommt, oder?»
Mungo denkt eine Weile darüber nach. Inzwischen ist ein bißchen Geschnatter aufgekommen, Grillen oder Frösche oder so was. «Im Grunde», meint er schließlich, «weiß ich gar nichts mehr. Hier unten ginge es wenigstens schneller.»
WIE FÜHLT MAN SICH ALS TOTER?
Am Morgen wacht Mungo schlagartig auf, über ihm sitzt ein winziger, glatzköpfiger Affe, der ihn aus Riesenaugen, so groß wie Golfbälle, anstarrt Als er sich bewegt, um ihn zu verscheuchen, gerät der Ast, auf dem er sitzt, bedrohlich ins Schwanken, schnellt dann zurück und gibt den Entdeckungsreisenden frei. Ein Augenblick lang herrscht die pure Schwerelosigkeit – ätherisch, beinahe ein Genuß in ihrer Losgelöstheit –, doch gleich darauf folgt ein heftiges Panikgefühl, das ihm den Magen umdreht, und ein kurzes, aber gestochen scharfes Bild des Seiltänzers auf der Bartholomew Fair. Der ersteAst knallt ihm ins Gesicht, der nächste gibt sofort nach; schließlich aber, nach einem Fall von gut sechs Metern, gelingt es ihm, sich ein herausragendes Stück Holz in die Achselhöhle zu rammen und sich so zu stabilisieren. Keuchend und unter Flüchen auf Mutter, Schöpfer und die Afrika-Gesellschaft schiebt er sich mühsam den Ast entlang, bis er den Stamm erreicht hat. Den er wie eine lang vermißte Geliebte umschlingt. Doch dann nimmt er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr – direkt über ihm baumelt, neben seinem linken Arm, der Affe. Das verhutzelte kleine Wesen wirft ihm einen nachdenklichen Blick zu, dann streckt es vorsichtig einen Finger aus und berührt ihn, sanft wie ein Kuß, an der Augenbraue.
Der Entdeckungsreisende arbeitet sich Ast für Ast hinab. Unten erwartet ihn Johnson. Er ist in seine Toga gehüllt, aber die Sandalen sind weg. Wie im Regenwald zur Regenzeit nicht anders zu erwarten, regnet es. Einen Moment lang steht Mungo stumm im Hemd da – Füße, Beine und Hintern sind splitternackt. Sein Schamhaar hat die Farbe von zerquetschten Rüben. «Eigentlich wollte ich guten Morgen wünschen», sagt er, «aber unter diesen Umständen wäre das ja wohl fast obszön.»
Johnson knurrt etwas. Sein rechtes Auge ist zugeschwollen, und im Haar über seinem Ohr klebt krustiges Blut. «Du siehst fürchterlich aus», bemerkt Mungo.
«Ich fühl mich, als wär ich von Bristol bis Covent Garden hinter der Postkutsche hergeschleift worden – und hätte dann noch die ganzen Koffer auf den Kopf gekriegt.» Er leckt sich die geplatzte Lippe und spuckt aus. Der Speichel ist rot. «Da», sagt er und zieht den zerbeulten Zylinder hinter dem Rücken hervor. «Das hier haben sie zurückgelassen. War ihnen wohl nichts wert.»
«Nichts wert? Alle meine Notizen stecken da drin.»
«Eben.»
«Wie ich sehe, haben sie dir deine Toga gelassen.»
«Die ist ja auch nichts wert. Aber die Sandalen haben sie mitgehen lassen, die Dreckskerle. Und meinen Esel.»
Bei der Erwähnung des Esels fährt der Entdeckungsreisende herum und macht eine ungläubige Miene. «Aber – wo ist denn das Pferd?»
Johnson schüttelt den Kopf.
«Du willst doch nicht etwa behaupten, daß ein Leopard alleine ein ganzes Pferd verdrückt – in einer einzigen Nacht?»
«Sehen Sie genau hin, Mr. Park. Da sind die Spuren, wo er es weggeschleift hat.»
Der
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