Wassermusik
verhangen, läßt kein Sonnenlicht erahnen. Aus den Bäumen dringt der jammervolle Schrei der Schwarzwidah und das müde Rascheln von Ohrenmakis, die nach mühsamer nächtlicher Pirsch in ihre Schlupfwinkel heimkriechen. Fischgeruch hängt in der Luft wie eine Erzählung von Gemetzel und Verwüstung.
Mungo rollt von seiner Matte und tritt zitternd hinaus, um die Lage in Augenschein zu nehmen. Der Fluß rauscht vorbei, unbeeindruckt, nagt weiter am Rand des Dorfes, seine Oberfläche ist übersät mit entwurzelten Bäumen und aufgedunsenen Kadavern – Äste, Hufe und Geweihe ragen aus dem Wasser, wirbeln ziellos herum, drehen sich im Kreis und tauchen abrupt unter, wie von einer unsichtbaren Macht hinabgezogen. Während Mungo gerade an die Außenmauer pinkelt, stürzt diese plötzlich teilweise ein und rutscht in den Fluß, schlägt klatschend auf dem Wasser auf, so daß der Schaum dem Entdeckungsreisenden bis in den Bart spritzt, die Toga von neuem durchnäßt und die Wellen ihm bis ans Knie schwappen. Und dann ist die Mauer weg – wie ein Keks in einer Tasse
Café au lait
. Das nasse Glied in der Hand, steht er reglos da, verschlafen und ein wenig durcheinander, läßt den Blick über die wogende, muskulöse Oberfläche des Tulumbo schweifen. Aber Moment mal – da kommt es, torkelt aus der Tiefe empor, zweieinhalb Meter breit, hüpfend und tänzelnd, unsicher wie ein halbstarker Adler, der erstmals seine Schwingen ausprobiert. Er sieht, wie es aus der Strömung gewirbelt wird, roh behauene Palisaden, die immer noch mit Dornranken und Schlinggewächsen vertäut sind, sieht ihm zu, wie es schließlich zur Ruhe kommt und dahintreibt … es treibt dahin wie … ja, wie ein Floß!
Eine halbe Stunde später sind Entdeckungsreisender und Dolmetscher mit langen, biegsamen Stangen ausgerüstet, die sie in einem Bambusfeld abgehackt haben, und staken sich emsig ihren Weg über den wütenden Tulumbo; von oben droht sie der Himmel zu überschwemmen, unten lauern Baumstümpfe und andere Hindernisse. Es ist ein Alptraum. Wie der Versuch, den Himalaya auf Rollschuhen zu bezwingen oder den Ärmelkanal mit einer eisernen Kanone am Bein zu durchschwimmen.
Sowie sie sich vom Ufer abstoßen, packt sie die Strömung mit einem heftigen Ruck und schickt das Floß auf eine Wahnsinnsfahrt vom Abgrund des Verderbens an den Rand der Katastrophe. Ein krummer schwarzer Ast senkt sich über sie wie eine Klaue und harkt den Entdeckungsreisenden um ein Haar in die reißende Flut, zwei Baumstämme vom Umfang korinthischer Säulen küssen sich knapp vor dem Bug mit vulkanischem Getöse, während drei der Palisaden sich auf einmal von den anderen trennen, um auf eigene Faust davonzurauschen, und ein entfernt pavianartiges Wesen, klatschnaß und mit gefletschten Zähnen, versucht, aus der Sturzflut herauszuklettern, was Johnson mit wilden Schlägen der Bambusstange abwehrt … wodurch die linke Flanke des Floßes aber offen für den Angriff eines ertrinkenden Leoparden ist, an dessen Rücken sich zwei Mangusten und ein Waran festklammern, und jetzt saust ein massiver schwarzer Block so groß wie der Montblanc auf sie zu wie ein außer Kontrolle geratenes Fuhrwerk … den Zusammenstoß verhindert der Entdeckungsreisende in letzter Sekunde geschickt, indem er sein Stakholz unter dem Splittern von Bambus nach vorn stößt und das Floß herumreißt, mit einem Ruck, der Pavian, Leopard, Mangusten, Waran und Johnson in die Strömung stürzt, Köpfe werden zerschmettert und untergetaucht, der Pavian ist weg, Johnson kämpft sich auf ein vorbeitreibendes Baumstammgewirr, das das Floß gleich darauf vonhinten rammt, und Mungo beugt sich hinüber, um ihn wieder an Bord zu zerren … wo die beiden schon im nächsten Moment von einem Schwarm winziger, glitschiger, blattartiger Fische überfallen werden, die sich auf die Planken ergießen wie eine Attacke der Fallsucht, was Entdeckungsreisenden und Dolmetscher ausrutschen läßt, und nun tun die beiden nicht einmal mehr so, als beherrschten sie ihr Transportmittel, klammern sich nur noch hilflos an die morschen Palisaden, während das Floß von einem Guß zum nächsten torkelt …
Viel später und ein Stück weiter flußabwärts – lange hinter der Mündung des Tulumbo in den Niger – läuft das Floß in den oberen Ästen eines Hains aus Tabba-Bäumen auf Grund. Der Moment ist gekommen, das Schiff zu abandonnieren. Entdeckungsreisender und Dolmetscher rutschen ins Wasser und
Weitere Kostenlose Bücher