Wassermusik
schwimmen hundepaddelnd von Wipfel zu Wipfel, bis sie die Außenregionen des Flusses erreichen, wo sich allmählich mit Treibgut behangene Stämme aus der wirbelnden gelben Strömung erheben. Matt und pitschnaß finden sie endlich ihre Füße wieder und waten an Land. Keiner von beiden hat in der letzten Stunde ein Wort gesprochen – alle Kräfte waren nötig, um sich festzuhalten, ums Überleben zu kämpfen, keine Initiative blieb übrig für Extravaganzen, wie etwa Luft durch den Kehlkopf zu pressen. Der Entdeckungsreisende ist der erste, der die Situation kommentiert. «Ich glaube, wir haben’s geschafft», keucht er.
Johnson, der bis zum Bauch im stinkenden Wasser steht, will ihm antworten, beugt sich aber statt dessen vor und übergibt sich. Das baumelnde Perlhuhn, noch vor wenigen Tagen fast ausgetrocknet, glänzt jetzt wieder feucht wie frisch geschlachtet.
Sie waten weiter. Rings um sie hängt der Wald herab wie ein Theatervorhang, Nebel steigt aus dem Wasser auf,halb ertrunkene Kreaturen – Schakale, Affen, Pottos, Wildschweine – waten neben ihnen mit dumpfer, mißmutiger Miene vor sich hin. Sie planschen weiter, weichen pfeilköpfigen Schlangen und giftigen Baumfröschen aus, und dann tauchen ihre Hüften aus dem Wasser auf. Dann die Oberschenkel, die Knie, und schließlich die Knöchel. «Halleluja», knurrt Johnson.
Sie haben eine Art Hang erreicht, der so dicht mit Bambus überwachsen ist, daß sie sich den Weg freihacken müssen, um voranzukommen. Verbissen folgen durchnäßte Honigdachse, Ratten und Spinnen mit haarigen Beinen ihnen im Kielwasser. Plötzlich hört Johnson auf mit dem Hacken und bleibt einen Augenblick reglos stehen, schnuppert die Luft. «Eintopf», sagt er und fängt an, mit neuem Mut auf die Vegetation einzuschlagen.
Fünf Minuten später stehen sie vor einem Kochtopf, bis zum Rand vollgestopft mit erlesenen Fleischstücken ertrunkener Pflanzenfresser. Vor der Überschwemmung geflüchtet hat sich eine Familie – ein schmalschultriger kleiner Mann mit tellerförmigen Ohrringen, seine schwangere Frau und sechs spindeldürre Kinder. Sie sind um den Topf versammelt, nähren das Feuer und kauen mit vollem Mund an Rippen und Keulen. Der Mann macht ihnen eine Geste, sie sollen Platz nehmen und sich bedienen. «Ist jede Menge da», grunzt er und nickt zu den aufgedunsenen Kadavern von zwei Hartebeests und einer Sitatunga-Antilope. «In zwei Tagen sind sie sowieso verwest.»
Johnson reibt sich die Hände und geht auf den Topf los, will sich für den Anfang erst mal mit einer Tasse Brühe aufwärmen – doch statt duftendem Dampf steigt aus dem Topf nun plötzlich dicker schwarzer Qualm. «Hey, da fehlt wohl noch ’n bißchen Wasser», bemerkt er und fächelt sich den Rauch aus dem Gesicht.
Der kleine Mann, der im Schneidersitz an einem Baumstumpf lehnt, fragt Johnson, ob es ihm etwas ausmache,schnell eine Kalebasse Wasser von unten zu holen. Johnson bemerkt, daß die andere Seite des Hügels relativ begehbar ist – nur ein paar dicke Bäume und Treibhauspflanzen, der Fluß kaum fünfzig Meter entfernt. «Mit Vergnügen», sagt er, greift nach der Kalebasse und macht sich auf den Abstieg, seine Laune hat sich durch die Aussicht auf eine warme Mahlzeit mächtig gebessert.
«Brauchst du Hilfe, alter Junge?» ruft der Entdeckungsreisende.
«Nein, Mr. Park – äh, Mungo –, mach dir’s bequem, bin gleich wieder da.»
Keinem der Teilnehmer dieser Szene ist jedoch der entscheidende Umstand bewußt, daß ein kolossales altes Flußkrokodil – von fast 5,50 m Länge – dem steigenden Wasserspiegel tief ins Innere des Dschungels gefolgt ist, da es die Hoffnung hegt, einen schnellen Happen auf Kosten irgendeines halb ertrunkenen Warmblütlers einzuheimsen, der sich mühsam an Land schleppt. Es liegt verborgen in einem Gewirr von angeschwemmtem Schutt am Fuß des Hügels, im flachen Wasser, einen halben Meter tief. Dort lauert es nun schon seit gut drei Stunden, der Duft der verderbenden Kadaver und des Eintopfs und der zarten kleinen Kinder regt seinen Appetit an, und seine tödlich scharfen Saurieraugen fixieren die Gruppe rund um den Kochtopf. Alles mögliche ist schon an ihm vorbeigewatschelt – leichte Beute, aber es hat sich nicht darum gekümmert. Bei dem Mandrill mit gebrochenem Bein und dem fetten, butterweichen Wildschwein, normalerweise exquisite Vorspeisen, fiel der Verzicht besonders schwer, aber es hat sich völlig auf die schwangere Frau kapriziert, diesen
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