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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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schob, der die Schwaden aufriß, gefährlich vor ihnen aufwuchs und vorbeiglitt, ohne entschiedenen Umriß anzunehmen. Jetzt war das Tuckern achteraus und entfernte sich unaufhörlich; zuletzt hörten sie es schwach in gleichbleibender Entfernung, und sie wußten, daß der Kutter am Landungssteg unterhalb des Dorfes lag.
    »Er hat uns nicht gefunden«, sagte Lorenz.
    »Das war er nich«, sagte Tadeusz, »das war er bestimmt nich.«
    Lorenz beugte sich über die Bordwand und blickte in das Wasser, in dem einzelne Seegrashalme schwammen; die Halme wanderten voraus, und er erkannte an ihnen, daß das Boot trieb. Manchmal spürte er, wie sich das Boot hob, mit weichem Zwang, so als würde es von einem kraftvollen und ruhigen Atem angehoben: es war die aufkommende Dünung.
    Vorsichtig begann Tadeusz zu rudern; er machte kurze Schläge, ließ das Boot nach dem Schlag ausgleiten und lauschte mit erhobenem Kopf und geschlossenen Augen.
    »Wie lange würde man brauchen, um nach Schweden zu rudern?« fragte der Professor.
    »Bis zum Jüngsten Tag«, sagte Lorenz gereizt. »Die Ostsee ist doch aber ein kleines Meer.«
    »Das kommt auf den Vergleich an.«
    »Jedenfalls muß ich in Schweden gleich Rasierzeug kaufen«, sagte der Professor. »An alles hab ich gedacht, nur das Rasierzeug mußte ich vergessen.«
    »Besser wäre noch ein Friseur im Rucksack«, sagte Lorenz. »Man sollte nie auf die Flucht gehen, ohne seinen Friseur mitzunehmen. Dann ist man die größte Sorge los.«
    Der Professor musterte ihn mit einem verlegenen Blick, strich über seinen fleckigen Walroßbart und kramte eine krumme Zigarette hervor. Er rauchte schweigend, während Tadeusz abwechselnd ruderte und lauschte. Lorenz löste seinen Schal, band ihn über den Kopf, und so, daß er die Wangen wärmte. Er dachte: ›Nie wird der Kutterkommen, nie; es war unvorsichtig, diesem Kerl die Anzahlung zu geben, er war betrunken, und vielleicht war er darum der einzige, der uns rüberbringen wollte. Wir hätten ihm das ganze Geld erst vor der schwedischen Küste geben sollen.‹ Und er sagte: »Dein feiner Schwager, Tadeusz, hat ein ziemlich großzügiges Gedächtnis. Ich glaube, er hat uns vergessen, denn er müßte längst hier sein.«
    Tadeusz zuckte die Achseln.
    »Vorhin«, sagte der Professor, »vorhin, als wir noch oben waren, da hörten wir einen Kutter; vielleicht war er es. Kann sein, daß er in der Nähe liegt und auf uns wartet.«
    »Er weint sich die Augen nach uns aus«, sagte Lorenz.
    »Wir müssen nix wie raus aus dem Nebel«, sagte Tadeusz. »Wenn der Nebel aufhört, können wir sehen. Auf einem Kutter, der nich zu finden is, kann keiner nach Schweden rüber.«
    »Soll ich rudern?« fragte Lorenz.
    »Is mein Schwager«, sagte Tadeusz, »darum werd ich rudern. Geht noch.«
    Er ruderte regelmäßig und mit langem Schlag, die Riemen bogen sich durch, hart brachen die Blätter aus, und das leichte Boot schoß durch das schiefergraue Wasser. Die lange Dünung wurde stärker, sie klatschte gegen den Rumpf des Bootes, wenn der Bug frei in der Luft stand. Das Tuckern des Kutters war nicht mehr zu hören. Tadeusz ruderte parallel zur Küste, zumindest vermutete er die Küste auf der Backbordseite, doch er konnte sie nicht sehen. Nach einer Weile zog er die Joppe mit demFischgrätenmuster aus, stopfte sie unter die Ducht und saß nun und ruderte im Pullover, der unter den Achseln verfilzt war und sich jedesmal, wenn er den Körper nach vorn legte, auf dem Rücken hochschob. Lorenz kauerte reglos im Heck und blickte in die auseinanderlaufende Strudelspur des Bootes. Seine erdbraunen Uniformhosen waren an den Aufschlägen durchnäßt; er hatte einen Ellenbogen auf das Knie gestemmt und das Kinn in die Hand gestützt. Der Professor lag auf den Knien im Bug des Bootes, den Oberkörper nach vorn geschoben, vorausblickend. Er trug jetzt seinen Zwicker.
    »Es wird heller«, sagte Tadeusz, »wir kommen raus aus der Küche, war man nix wie eine Nebelbank.« »Dann ist es geschafft«, sagte der Professor.
    »Sicher«, sagte Lorenz, »dann sind wir da und können Rasierzeug kaufen. Wir sollten uns schon überlegen, wie Pinsel auf schwedisch heißt.«
    Dann stieß das Boot aus der Nebelbank heraus und glitt, während Tadeusz die Riemen einzog, in die freie Dünung der See. Sie sahen auf den schleierigen Wulst des Nebels zurück und dann hinaus in die vom Horizont begrenzte Leere, auf der das Glitzern einer stechenden Sonne lag: der Kutter war nicht zu sehen.
    »Die Ostsee

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