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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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sichtbar, ein einziger Stern, dann schoben sich tiefziehende Wolken davor. Lorenz glaubte einen treibenden Gegenstand auf dem Wasser zu entdecken, doch er täuschte sich. Glimmend zogen sich Schaumspuren die Rücken der Wellen hinauf. Der Wind nahm nicht zu.
    Später, als Lorenz nur noch das Gefühl hatte, daß seine Arme die Riemen wären, daß seine Handflächen ins Wasser tauchten und das Boot gegen die See hielten, erhielt er einen kleinen Stoß in den Rücken, und er sah den Professor hinter sich kauern und ihm etwas entgegenhalten.
    »Was ist das?« fragte Lorenz.
    »Schnaps«, sagte der Professor. »Nehmen Sie einen Schluck, und dann werde ich rudern.«
    »Später«, sagte Lorenz. »Zuerst wollen wir die Plätze tauschen. Ich bin fertig.«
    Sie schoben sich behutsam aneinander vorbei, ohne sich aufzurichten, das Boot schwankte, aber bevor der Wind es querschlug, saß der Professor auf der Ruderducht und zog die Riemen durchs Wasser. Einen Augenblick lag das Boot wieder in der See, doch nun drückten das Wasser und der Wind den linken Riemen gegen die Bordwand, und der Professor arbeitete, um den Riemen freizubekommen; er schaffte es nicht, gegen den Druck des Wassers konnte er den verklemmten Riemen nicht ausbrechen. Er ließ den rechten Riemen los, faßte den linken mit beiden Händen und zog und stöhnte, dochnun schlug das Boot quer, und eine Welle brach sich an der Bordkante und schleuderte so viel Wasser hinein, daß die Bodenbretter schwammen. Tadeusz riß den Professor von der Ruderducht – sie wären gekentert, wenn Lorenz nicht die heftige Bewegung ausgeglichen hätte, indem er sich instinktiv auf eine Seite warf –, ergriff die Riemen, brach sie aus ihrer Verklemmung und ruderte peitschend und mit kurzen Schlägen, bis er den Bug herumzwang.
    »Danke«, sagte der Professor leise, »vielen Dank.«
    Tadeusz hörte es nicht. Der Professor zog eine Flasche heraus, schraubte den Verschluß ab und reichte die Flasche Tadeusz. »Das wärmt«, sagte er.
    Tadeusz trank, und nach ihm trank Lorenz einen Schluck. Der Professor zündete sich eine Zigarette an; dann begann er mit großer Sorgfalt und ohne Unterbrechung Wasser zu schöpfen; er schöpfte so lange, bis die Bodenbretter wieder fest auflagen und grünlich und matt glänzten. Er hatte es vermieden, Tadeusz oder Lorenz anzusehen, und als er sich aufrichtete, sagte er:
    »Ich bitte um Verzeihung. Ich weiß auch nicht, wie es geschah.«
    »Der Schnaps wärmt gut«, sagte Tadeusz.
    »Ich denke, Sie sollten nicht mehr rudern, Professor«, sagte Lorenz. »Sie können besser schöpfen. Damit ist uns mehr geholfen.«
    »Ich kann auf den Schlaf verzichten. Ich werde immer schöpfen«, sagte der Professor leise.
    Lorenz kauerte sich im Bug zusammen und versuchte zu schlafen, und er schlief auch ein, doch nach einigerZeit weckte ihn Tadeusz durch einen Zuruf, und Lorenz löste ihn auf der Ducht ab. Dann lösten sie sich noch einmal ab, und als Lorenz aus seiner Erschöpfung erwachte, lag im Osten über der See ein roter Schimmer, der wuchs und über den Horizont hinaufdrängte. Das Wasser war schmutziggrün, im Osten hatte es eine rötliche Färbung. Die Schaumkronen leuchteten im frühen Licht.
    Sie waren alle wach, als die Sonne aufging und sich gleich darauf hinter schmutziggrauen Wolken zurückzog, so als hätte sie sich nur überzeugen wollen, daß das Boot noch trieb und die Männer noch in ihm waren. Sie aßen gemeinsam, sie teilten diesmal, was sie mitgebracht hatten: Brot, Dauerwurst, gekochte Eier und fetten Speck, der Professor schraubte seine Schnapsflasche auf, und nach dem Essen rauchten sie. »Da ist jedenfalls Osten«, sagte Lorenz und machte eine nickende Kopfbewegung gegen den Horizont, wo der rote Schimmer noch stand, aber nicht mehr frei und direkt stand, sondern abnehmend, indirekt, wie eine Erinnerung, die von den langsam ziehenden Wolken festgehalten wurde. Tadeusz versuchte, das Notsegel aufzurichten: der Wind war zu stark, immer wieder kippte der Riemen mit dem flatternden Umhang um – sie mußten rudern.
    »Wie schnell treibt eigentlich ein Boot?« fragte Lorenz. »Es kommt auf die Strömung und auf den Wind an«, sagte der Professor.
    »Wieviel? Ungefähr.«
    »Eine bis zwei Meilen in der Stunde kann man rechnen. Vielleicht auch weniger.«
    »Also sind wir schätzungsweise zwanzig Stunden getrieben. Zumindest können wir das annehmen.«
    »Ungefähr«, sagte der Professor. »Aber wir kennen die Strömung nicht. Manchmal ist die

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