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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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hörte ich ein gurgelndes Geräusch aus dem Frachtraum, von dorther, wo wir das Leck empfangen hatten, durch das Wasser einbrach.
    Ich wollte etwas tun und wußte nicht, was, stürzte dann doch zum Ruderhaus und fand Albert Schull still, mit aufgestützten Beinen auf seinem Schemel hocken. Ich brauchte mich nicht zu versichern, brauchte ihn aufnichts aufmerksam zu machen, denn seine vergnügte List, die harmlose Verschlagenheit, mit denen er mir entgegenblickte, sagten mir, daß er alles wußte, und mehr als dies: daß alles geschehen war nach seinem Plan. Aber ich sagte dennoch: »Wir sitzen fest, Kap’tän, wir haben ein Leck«, und er: »Ja, Jungche.« »Bertha ist leckgeschlagen«, wiederholte ich. »Bertha, ja«, sagte er gemütlich, und nach einer Weile: »War ihre letzte Fahrt.« »Aber die Ladung«, sagte ich. »Ruhig, Jungche«, sagte er, »sie werden schon längsseits kommen in der Frühe und die Ladung bergen.« Und erwartungsvoll: »Dann wird sich alles zeigen.« »Soll ich das Boot aussetzen?« fragte ich, und er, mit seiner furchtbaren Ruhe: »Laß man, wir bleiben an Bord. Sinken können wir hier nicht.« Die Langsamkeit seiner Stimme, die Ruhe seiner Hände und diese tatenlose Geduld reizten mich, und ich rief: »Ihr Beweis, nicht? Das ist wohl der Beweis!« »Wart ab, Jungche«, sagte er. »Die Fracht«, sagte ich. »Wart doch ab.«
    Da kam mir unser Unglück vor wie die einzige Notwendigkeit, derentwegen er noch lebte, und ich ging in meine Kammer, um nachzusehen, was da beim Auflaufen geschehen war.
    Ich sah ihn erst am Morgen wieder, bevor er umstieg auf die flache Schute der Bergungsfirma, die längsseits gekommen war. Er gab mir die Hand und sagte leise, vergnügt und mit einer irren Zuversicht: »Bei der Bergung rechnen sie genau.«
    Dann stieg er um, und ich hörte erst wieder von ihm in der ›Goldenen Schleuse‹, wo sie anscheinend alles wissen.
    Sie wußten, daß sein Schiff wirklich zweihundertzweiundsechzig Tonnen hatte, acht Tonnen über seine Vermessung; in der Bergung arbeiten sie genau, doch als Albert Schull das erfuhr, war seine ›Bertha‹ längst zerschnitten und zerschweißt.
    1964
     
     
     
     
    Im Gegensatz zu vielen Häfen des Nordens gilt Hamburg als eisfreier Hafen. Hier kann nicht geschehen, was in Leningrad, in Archangelsk oder Murmansk geschieht: daß Schiffe mit ihrer Fracht regelrecht einfrieren, sobald der Frost Streik ausruft oder seine Peitsche führt. Hier kann es nicht vorkommen, daß Schiffe wochenlang im Eis festsitzen, wobei ihre Besatzungen zwar räumlich beschränkte, aber doch eisglitzernde Winterfreuden genießen können. Der Hafen von Hamburg ist in dieser Hinsicht klimatisch so bevorzugt, daß Eisbrecher, die in nordischen Häfen zum selbstverständlichen Inventar gehören, nie oder doch nur selten eingesetzt werden müssen. Soweit ich mich erinnern kann, ist es nach dem Krieg nur einmal notwendig gewesen, in dem harten Winter 1946/47.
    Gleichwohl kann es geschehen, daß die Elbe Eis führt und daß die Schiffe gezwungen sind, durch krachende und splitternde Eisschollen hinauszufahren bzw. in den Hafenaufzukommen. Ich selbst lebe in der Nähe des Stroms, und ich achte dann auf die Geräusche, wenn Schiffe bei Eisgang vorbeiziehen. Ein fernes Dröhnen kündigt sie an, ein Klirren und Brechen, und dieses Geräusch ruft unwillkürliche Vorstellungen hervor: Man sieht eisverkrustete Steven, Aufbauten und Brücken, man sieht den eisverkrusteten Bug, der durch treibende Schollen pflügt, und man sieht die blauen, magermilchblauen Schollen, die an der stählernen Bordwand entlangtrudeln, unter Wasser gedrückt werden, von der Schraube erwischt werden und splitternd und beinahe tanzend im quirlenden Heckwasser wieder auftauchen. Schiffe und Schlepper entwerfen mit ihrem Kurs gleichsam Schnittmuster im treibenden Eis, Rinnen, die mäanderförmig gegen den Horizont laufen, enger und enger werden und schließlich wieder zuwachsen. Ich habe es selbst erlebt, ich habe das Geräusch gehört, das entstand, wenn treibende Eisschollen die Bordwand trafen, es ist ein Dröhnen, ein Rumpeln und Klopfen, mit dem das eisbedeckte Gewässer dem Schiff sozusagen seine Gefangenschaft mitteilen möchte.
    Und inmitten dieses mörderischen Treibens tun unermüdlich Feuerschiffe ihren Dienst. Feuerschiffe sind Symbole der Sicherheit. Überall vor wandernden Bänken, vor risikoreichen Fahrwassern, vor Zwangswegen sieht der Seemann, sobald er sich dem Hafen nähert, diese kleinen

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