Wasserwelten
er trank, blickte er durch den Raum, auf die festgeklebten Leute, und auf einmal setzte er die Flasche ab, stöhnte, trat ruhig an einen Tisch heran, an dem eine mächtige Warnboje saß, die aussah wie ein Schiffer, und mein Kapitän hob die Flasche, goß den Rest Bier mitten auf den Tisch, daß es nur so spritzte und schäumte und eine schmutzige Lache entstand. Die Warnboje, die aussah wie ein Schiffer, nahm nicht einmal die Hände vom Tisch, sah nur unbewegt zu, wie das Bier über die Tischplatte schäumte. Das hatte Albert Schull nicht erwartet. Er setzte die Flasche auf den Tisch und zog der Warnboje die Mütze über die Augen, warum auch nicht, und stand dann zitternd da und beobachtete, wie die Boje sich belebte und erhob und gar nicht aufhören wollte, sich zu erheben. Da machte mein Kapitän ein Gesicht, als ob er erleichtert sei, packte seine Flasche, hieb ihr an der Kante des Tisches den Boden ab. Erleichtert sah er aus, sagte ich, aber Sie müssen auch wissen, daß er den Eindruck eines Mannes machte, der außer sich sein wollte und es nicht konnte.
Die Warnboje schlug ein einziges Mal zu. Albert Schull hatte keine Verwendung für den scharfkantigen splittrigen Flaschenhals. Er ließ ihn fallen im Sturz, und er stürzte so, daß ich ihn auffangen konnte. Auf seinem breitwangigen Gesicht lagen weder Überraschung noch Schmerz, dafür glaubte ich, eine Art listiger Zufriedenheit zu erkennen in der entscheidenden Sekunde, in der er bemerkte, daß ich ihn festhielt.
Jedenfalls hatte er dafür gesorgt, daß ich dabei war und er selbst jemanden hatte, der ihn hinausschleppte und, über die staubige Uferstraße, durch die entzündete Luft zum Anlegesteg hinab. Ich bettete ihn ins Boot. Ich stützte seinen Kopf auf die mittlere Ducht, so daß sein Gesicht von der Sonne getroffen wurde. Und er sah auch jetzt noch zufrieden aus, während er vor mir lag. Dann wriggte ich uns zur ›Bertha‹ hinüber.
In der Kajüte lächelte er mir zu, mit seinem alten, freundlichen und verschlagenen Lächeln, und seine Stimme war sanft wie immer, als er sich bei mir bedankte. Es mußte ihm sehr gut gehen, denn er bot mir von einem Schnaps an, den er selbst nur selten trank, und ich, sein einziger Leichtmatrose, konnte nicht ablehnen. Und er entsann sich auf einmal, daß er mir noch eine Antwort schuldete: »Ach ja, Jungche«, sagte er, »ja, du hast mich vorhin nach dem Schiff gefragt.« »Nach den Abmessungen«, sagte ich. »Ich habe ihnen alles dagelassen«, sagte er, »die alten und die neuen Abmessungen.« »Alles umsonst?« fragte ich. »Sie halten mich für verrückt«, sagte er, »sie haben man die Beweise gar nicht gelesen, nur zugehört haben sie mir und dann leise gesprochen und mich angesehen, wie man einen Verrückten ansieht.« »Sieht ihnen ähnlich«, sagte ich, und er darauf: »Aber sie werden sich wundern, Jungche. Sie werden Augen machen, wenn ich ihnen den letzten Beweis liefere.« »Welchen Beweis?« fragte ich. »Den letzten«, sagte er, »du wirst schon sehen«, und er lächelte zufrieden, wie man vielleicht am Sonntagvormittag lächelt. »Meine Abmessungen habensie nicht überzeugt, etwas anderes wird sie überzeugen.« »Die Werft?« »Wart ab.« »Der Zoll?« »Wart nur ab.« Da sah ich ihn lange und genau an, und ich hielt ihn nicht für verrückt.
Einen zweiten Schnaps schenkte er nicht ein, und so ging ich in meine Kammer, zog mich wieder um und machte alles klar zum Passieren der Schleusen, und als ich ihn am Ruder sah, sanft, gar nicht wie ein Kapitän, als ich ihn mit dem Schleusenwärter sprechen hörte, vergnügt, in seiner anspruchslosen Höflichkeit, begann ich mich zum ersten Mal vor dem Beweis zu fürchten, den er ausspielen wollte, um seine Gerechtigkeit für unberechnete acht Tonnen zu erhalten.
Ohne Verzögerung gingen wir durch die Schleusen und tuckerten an kochenden Ufergärten vorbei, an Pontons, auf denen Teerzungen funkelten, tuckerten an schlaffen Schilfgürteln vorbei, in denen der Nachmittag brütete, hinab zum Elektrizitätswerk und dann zu unserem Frachtkai, wo sie uns schon erwarteten. Albert Schull fuhr ein sehr gutes Anlegemanöver, ich konnte die Leinen einfach hinübergeben, und gleich nachdem wir festgemacht hatten, zogen sie die Tore des Schuppens auf: die letzte Frachtübernahme begann.
Diesmal mußte ich an Deck bleiben, und mein Kapitän stieg selbst in den Frachtraum hinab, etwas, was er noch nie getan hatte in den vierzehn Monaten, in denen ich bei ihm war, und
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