Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
Vom Netzwerk:
er half dort unten in dem heißen Käfig beim Auspicken und Stauen, flitzte hin und her in seiner pfefferbraunen Jacke, ermunterte, korrigierte und befahl. Wirnahmen eine Spendenfracht über, die für ein Erdbebengebiet bestimmt war, Kisten mit medizinischen Geräten und Impfstoffen und sogar ein ganzes Hilfslazarett, und natürlich geschnürte Ballen von getragener Kleidung, auch Schuhe, auch Konserven. Wir sollten all das Zeug in den Hafen bringen, wo es von einem Schnellfrachter übernommen werden sollte, und Albert Schull arbeitete, als sei ein Verwandter von ihm unter den Leuten, die die Spenden nötig hatten. Nichts war ihm anzumerken, nicht die Unruhe, die die Entdeckung der ungenauen Maße hervorgerufen hatte, nicht die Erbitterung oder Enttäuschung über seine fehlgeschlagenen Verhandlungen, und Sie werden verstehen, wenn ich sage, daß er mir einfach zu folgenlos über alles hinweggekommen schien. Sichtbare Enttäuschung oder meinetwegen die deutliche Beschäftigung mit einem neuen Entwurf hätten mich jedenfalls sorgloser gemacht.
    Während wir die Spendenfracht übernahmen, machte hinter uns schon der nächste Kahn fest. Auch er wurde mit Spenden beladen. Auch er sollte das Gut zu dem Schnellfrachter hinbringen. Wir machten nur eine Kaffeepause, und Albert Schull war es, der sie als erster beendete, händereibend hinabstieg und dort wie ein Stauervize arbeitete bis zur Dämmerung und durch sein stetiges Drängen auch erreichte, daß wir bei Beginn der Dunkelheit voll waren und ablegen konnten.
    Wir drehten also in den Strom, ich stand neben dem Ruderhaus, nur mit einer Turnhose bekleidet; ich stand und rauchte und beobachtete aufkommende Lichter undzitternde Lichtpfeile auf dem schwarzen Wasser. So ließ sich der Sommer vergessen. Albert Schull stand am Ruder, sanft, beherrscht wie immer – eine Beherrschtheit, die in seinem Gesicht lag und in den Händen, die das Ruder hielten. Das abgeknickte Rohr des Auspuffs vibrierte. Friedlich tuckernd, mit funkelndem Kielwasser glitten wir stromabwärts. »Werden wir nachts entladen?« fragte ich ins Ruderhaus hinein. Ich erhielt keine Antwort. »Soll Bertha gleich entladen werden?« wiederholte ich, und er darauf: »Frag nicht soviel, Jungche, ruh dich aus.« Er blickte aufmerksam voraus, und ich legte mich auf eine Persenning hinter dem Ruderhaus, dort, wo unter mir die Schraube das Wasser walkte und die gefettete Ruderkette lief. Ich sah zu den erleuchteten Häusern am Ufer, dachte mich in sie hinein, entwarf mir so ein abendliches Familienleben und merkte dabei nicht, wie ›Bertha‹ ihren Kurs änderte, leicht nur, ohne daß die Kette sich viel bewegte. ›Bertha‹ lief tuckernd, gleichmütig und in spitzem Winkel aus dem Fahrwasser raus, riß eine der wippenden Bojen aus der Verankerung; die Boje trudelte neben der Bordwand vorbei, schlug wie zum Abschied gegen das Heck, gerade dort, wo ich lag, so daß ich aufsprang und zum Ruderhaus stürzte, um Albert Schull darauf aufmerksam zu machen; doch ich schaffte es nicht bis zu ihm, denn das Schiff hob sich unter mir, wuchs mit seinem Deck und den Bordwänden aus dem Wasser, gleichmäßig, geräuschlos – ›Bertha‹, dies träge, gedrungene Flußpferd, dieser Veteran der Kanäle und Ströme, sie hob ihre dunkle Masse aus dem Wasser,drückte und drückte sich empor mit all der Fracht in ihrem Bauch, und jetzt hörte ich einen Laut, der so klang, als wenn eine Diamantspitze Glas schneidet, nur noch fordernder, rücksichtsloser und vielfach verstärkt, ich hörte etwas knirschen und knacken, sah den Bug des Kahns sich aufrichten gegen den dunklen Himmel und die Lichter am Ufer geradewegs niedersinken, ich wollte etwas rufen und konnte es nicht. Dann erhielt ›Bertha‹ einen Schlag unter Wasser, sie ruckte heftig, schien zu schnaufen und ein wenig zu sacken, so, als sei sie angeschlitzt worden, und ihre drängende Bewegung wurde kraftlos, verlief sich; schließlich krängte sie und blieb, immer noch mit hochgerecktem Bug und schrägem Deck, liegen.
    Zuerst dachte ich, ich sei eingeschlafen, denn Sie müssen wissen, daß Albert Schull alle Bänke und Untiefen und versetzenden Strömungen kannte, und ich wußte von ihm, daß er mit seiner ›Bertha‹ nie festgesessen hatte in den zweiunddreißig Jahren. Aber das schräge Deck und das Knacken im Schiff und all die Leute, die sich im Lichtschein am Ufer versammelten, bewiesen mir, daß wir schwer aufgelaufen waren und quer zur Strömung festlagen. Außerdem

Weitere Kostenlose Bücher