Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
Vom Netzwerk:
Strom , 1957
     
     

     
    Ich sah über den dunklen Strom und dachte an damals. Timm stand am Ruder und blickte voraus, wir sprachen nicht miteinander. Er brachte mich nach Hause. Ich wußte, nun würde ich nicht mehr den Kugelhelm aufgestülpt bekommen, ich würde nicht mehr tauchen ...
    Es war eine Nacht, eine klare, kühle Nacht, und ich saß allein im Heck der Barkasse, und ich dachte an damals, an das, was wir vorfanden ... Ich dachte an den steil aus dem Wasser ragenden Bug der Unterseeboote, an diese schlanken Särge, deren Sehrohre auf den Himmel wiesen – ich dachte an die biederen, plumpen Schuten, an die geduldigen Proleten des Hafens, die überall herumlagen, geborsten, abgesackt ... ich dachte an die weißen Aufbauten des Passagierdampfers, den es mitten in der Fahrrinne erwischte, ich dachte an Namen, an die ›Wally Faulbaum‹, an die ›Chios‹, an die ›Weißenfels‹, an die ›Neufundland‹, ich dachte an die fast dreitausend Schiffe, Getreideheber, Schlepper und Barkassen, denen damals die Stunde schlug ... an der Pier, beim Ein- und Auslaufen ... Der Strom war eine Geisterlandschaft damals, ein gigantischer Friedhof, ein Becken des Sterbens ... und ich dachte an die geheimnisvollen Friedhöfe der Elefanten, als ich die wunden Schiffsleiber sah, schwarz, gewaltig und tot ... manche lagen auf der Seite – ich glaubte sie stöhnen zu hören –, manche hatten noch versucht, den Strand zu erreichen, der sonst ihr Todfeind war, sie waren hinaufgefahren und auseinandergebrochen ... Sie lagenda wie tote Wale, die in rätselhaftem Entschluß seichtes Wasser gesucht hatten, Sterbewasser, Todesstrand ...
    Die Nacht des Tauchers, 1954
     
     
     
     
    Sie fuhren quer über den Strom, an der Werft vorbei und weiter durch eine Schleuse, und schließlich waren sie am Ziel. Es war ein entlegenes Hafenbecken, windstill und tot, und es roch hier anders als auf dem Strom; es war nicht das milde Salz der Meerluft, nicht der Geruch von Teer und Terpentin, von Ruß und Bretterzeug, hier lag ein anderer Geruch. Hier bemerkte er nur Fäulnis und Verfall, schlappende Leblosigkeit; das Wasser war zäh, das Wasser war schmierig und ölbedeckt, Kohlstrünke trieben darauf, Büchsen und Abfallholz, keine Möwe ließ sich hier nieder. Es war noch alles, wie es am Ende des Krieges gewesen war, die Kaimauern waren zerschmettert, die Giraffenhälse der fahrbaren Kräne amputiert, verdreht und zerrissen, Lokomotiven lagen rücklings neben den Schienen, und im Wasser, vertäut noch, gespenstisch befestigt an Poller und Dalben, ruhten die Schiffe. Sie waren auseinandergebrochen, sie hatten sich auf die Seite gelegt, einige waren friedlich und senkrecht auf Grund gegangen, nur ein kleiner Passagierdampfer, der über das Heck gesunken war, hob seinen Bug verzweifelt heraus aus dem Wasser, und es sah aus, als hätteer im letzten Augenblick, da die Bombe ihn traf, Kurs auf den Himmel nehmen wollen. Eine der Schuten war gekentert, sie hing kieloben in ihrer Vertäuung, sie lag schwarz und gewaltig und tot da, wie ein Wal, der in rätselhaftem Entschluß seichtes Wasser gesucht hat, Sterbewasser, Todesstrand.
    Der Mann im Strom , 1957
     
     
     
     
    Das Wrack
     
    Auf der Heimfahrt entdeckte Baraby das Wrack. Es lag nicht allzu tief, ein langer, dunkler Schatten, der die Farbe der Wasseroberfläche veränderte; es mußte ein älteres Wrack sein, denn er hatte in letzter Zeit von keinem Schiffsuntergang gehört, und es lag weitab von der Fahrrinne. Es lag in der Nähe der Halbinsel, wo der Strom mehr als vier Meilen breit war, und es gab dem Wasser über ihm die Farbe eines alten Bleirohrs, stumpf und grau.
    Baraby hatte das Wrack nie zuvor entdeckt, obwohl er den Fluß gut kannte; es war in keiner Karte eingezeichnet, und im Dorf wußte auch niemand etwas davon. Vielleicht hätte er das Wrack früher entdeckt, wenn er noch bei der Halbinsel gefischt hätte, aber seit einigen Jahren fuhren die Flußfischer weit in das Mündungsgebiet hinaus;sie legten die Angeln draußen aus und auch die Reusen, es gab am ganzen Strom nur noch eine Handvoll Flußfischer; ein elendes Geschäft war es geworden, zufällig und armselig, und die meisten hatten damit aufgehört.
    Weil Baraby auch im Mündungsgebiet fischte, hatte er das Wrack erst jetzt entdeckt. Er stellte den Außenbordmotor ab, und das schwere, breitplankige Boot glitt sanft aus, glitt über den Schatten des Wracks hinaus, stand einen Augenblick still, wurde von der Strömung

Weitere Kostenlose Bücher