Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
Vom Netzwerk:
für Leute ebenso wie für Schiffe. So verständlich es erscheint, daß über dem Unglück der Menschen das katastrophale Ende der Dinge oft vergessen wird, so unerläßlich ist es, zumindest gelegentlich an die Verluste der Werke zu erinnern, die, einst kühn konzipiert und dazu ausersehen, unsere Hoffnungen übers Meer zu tragen, in Augenblicken entfesselter Gewalt zerschlagen und zerstört und auf den Grund des Stromes geschickt wurden.
    Verguckt in die Schauseite des Hafens mit seinen gewinnträchtigen Schnittmustern aus Kurs und Gegenkurs, weigern wir uns fast, zu glauben, daß dieses Stück des Stroms und die kunstvoll angelegten Hafenbecken vor noch nicht allzu langer Zeit ein einziger Friedhof der Schiffe war, eine kolossale Grabkammer für mehr als dreitausend Wracks. Wo heute dekorative Geschäftigkeitherrscht, die nicht nur den Marine-Maler anzieht, lastete am Kriegsende Totenstille über geborstenen Kai-Anlagen, über zerschmetterten Kränen, und unabsehbar hoben sich aus dem Wasser die Spieren und Aufbauten gesunkener Schiffe. Angesichts der monumentalen Aufgabe, die hier auf Berger und Taucher wartete, schien es unvorstellbar, daß dieser Hafen sich in absehbarer Zeit wieder regen, mit Leben füllen könnte.
    ... Mit Hebekränen und Haftladungen, mit Schweißbrennern und Fallbirnen gingen sie ans Werk und machten augenfällig, daß alles, was der überstandene Tobsuchtsanfall der Geschichte zurückgelassen hatte, ein Gebirge von Schrott war. Die Lehre einer historischen Katastrophe türmte sich auf Stränden und Piers – freilich, nicht lange; schon zeigte sich, daß selbst im Schrott Gewinn steckte. Früh, so hat es den Anschein, entsann sich der Hafen seiner Gesetze: Umschlag setzt Bewegung voraus und Verdienst wiederum den Umschlag.
    Die Wracks von Hamburg, 1978

Was für trostlose Gassen! Pechschwarze Blöcke,
    nicht Häuser, zu beiden Seiten ... Ha! dachte ich,
    ist dies Asche aus Gomorrha, jener zerstörten Stadt?
                                          Herman Melvile, Moby Dick
     
     
     
     
    Ich stand unten auf dem Ponton, auf dem sanft schwankenden Landungsponton, dessen Kanten zersplittert sind unter hundert Rammstößen ... Ich wartete auf die Barkasse, wartete auf Timm, der mich nach Hause bringen sollte ... Ich wußte, nun würde ich nicht mehr tauchen ... Wir hatten das letzte Wrack gesprengt, ich war zweimal unten gewesen, um die Sprengladung einzubauen ... Die Sprengung verlief gut, nun war alles vorbei, und ich wartete auf Timm, der mich nach Hause bringen sollte ... Es war dunkel, und ich spürte den Geruch von Kohlenstaub, von Fischen, Bretterzeug und neuer Farbe ... Ich sah in das Wasser hinab, und das Wasser kam mir zäh vor und dickflüssig, wie Saft, wie schwerer, öliger Saft ... Ich machte einen Schritt zurück und sah weit über den Strom ... Ich hörte den Strom unter meinen Füßen am Holz glucksen, hörte ihn klatschen und hochschwappen, und drüben waren die Docks und die Werften ... Ich sah hinüber, und es war nichts mehr da als der violette Funkenregen der Schweißbrenner und das Knattern der Niethämmer ... Ich sah nur die Arbeit da drüben, die rasselndenLaufkatzen, die Schneidbrenner, die Giraffenhälse der Kräne ... Und ich stand und schaute hinüber und versäumte bald mein Boot ... Wer zusehen kann, wird hier leicht sein Boot versäumen ...
    Die Nacht des Tauchers, 1954
     
     
     
     
    Der alte Fährdampfer mahlte schräg über den Strom, und die Männer saßen nebeneinander, und ihr Blick ging über das Wasser. Vier Schiffe kamen den Strom heraus, dicht hintereinander, vier tiefgehende Schiffe, die stetig und mit kleiner Fahrt an ihnen vorbeiliefen, von Schleppern empfangen und an die Kais gebracht wurden. Schnelle Barkassen kreuzten ihren Kurs, vollgestopft mit dem aktentaschentragenden Volk der Stauer, mit Werftarbeitern, mit Sekretärinnen und Seeleuten; die Barkassen pendelten jetzt unablässig hin und her: es war Schichtwechsel im Hafen. Aber es trat keine Stille ein, kein vollkommener Friede, obwohl die Schichten wechselten; alles überlappte und überschnitt sich, alles vollzog sich fließend unter der würgenden Notwendigkeit der Arbeit; von den Schneidbrennern zischte schon wieder violetter Funkenregen, die Kräne standen nicht still, wild und hallend ratterten die Niethämmer, Dampfsirenen riefen Signale über den Strom, und breit und langsam und schwappend zogen Schleppzüge zu den Kanälen hinab.
    Der Mann im

Weitere Kostenlose Bücher