Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)
verschüttet. Mit dem leeren Krug tritt er dann unverrichteter Dinge vor den Großvater hin und versucht, ihm auf kindlich altkluge Weise zu erklären, dass er nicht ungehorsam gewesen sei, sondern nur zu dessen Vorteil gehandelt habe. Es ist das erste Mal, dass er sich eine saftige Ohrfeige einfängt.
Die zweite, damit aber auch schon letzte von der Hand seines Großvaters verabreichte Ohrfeige erhält er, weil er sich erfrecht hat, der Blechnerin, einer ob ihrer Launen gefürchteten Hauswirtin, ins Gesicht hinein zu sagen, was ein jeder im Viertel, sobald die Sprache auf sie kommt, bedenkenlos hinter ihrem Rücken ausspricht. Die übertrieben reinliche, ansonsten merklich freudlose Despotin hat ihren Untertanen nicht nur verboten, in der Wohnung fremden Besuch zu empfangen und Haustiere zu halten, sie schreitet auch umgehend ein, wenn sich bei verheirateten Paaren Zuwachs ankündigt. Sobald die Blechnerin von einer Schwangerschaft Wind bekommt, kündigt sie ihren Mietern. Selbst wohnt die kinderfeindliche Wirtin im Erdgeschoss, wo sie mit Argusaugen und allzeit gespitzten Ohren strengstens darüber wacht, dass ja kein verlumpter Bettler oder Hausierer über die Schwelle gelangen und durch seine armselige Anwesenheit den Hausflur verunreinigen kann. Mit besonderer Lust verscheucht sie aus Unachtsamkeit oder Versehen vor ihrer Behausung spielende Kinder. Als sie den selbstvergessen in ein Spiel versunkenen Cornelius auch einmal mit barschen Worten aufstört und verjagt, ruft er ihr im Weglaufen noch trotzig zu, dass sie eine gefürchtete Bissgurre sei. Abends spricht die durch die ungefälligen, von dem Jungen bei den Erwachsenen aufgeschnappten und ihnen nachgeplapperten Worte zutiefst beleidigte Frau bei dessen Großeltern vor, besteht im Namen alter Freundschaft auf einer umgehenden Bestrafung des Missetäters und verlangt obendrein, dass sich Cornelius für seine dreiste Ungehörigkeit bei ihr entschuldigt. Mit versteinerter Miene steht die Blechnerin daneben, als Wilhelm seinen Enkel kräftig ohrfeigt, nimmt aber nach erfolgter Züchtigung die kaum hörbar gestammelte Entschuldigung gnädig nickend entgegen.
Von dem Wirtshaus an der Ecke weiß Cornelius, dass es vor dem letzten Krieg seinem Großvater gehört hat, genauer gesagt, Urgroßmutter Martha, einer stattlichen Greisin mit vorgewölbtem Bauch, in deren alterszerfurchtem Gesicht an der linken Wange eine dunkle Beere haftet, eine Warze, aus der borstige weiße Haare sprießen. Die befehlsgewohnte, herrische Greisin lebt in der Nachbarschaft, abgekapselt von der Außenwelt, in einem winzigen, stark nach welken Blumen, Zimt, Franzbranntwein und Melissengeist duftenden Parterrezimmer, und alle Kinder fürchten sich vor der schweren Frau mindestens so sehr wie vor dem Goggolori, womöglich ist ihre Angst sogar noch um einiges größer, denn sie stellen der Urgroßmutter bei deren seltenen Ausflügen aus der Wohnung nicht lärmend nach, sondern gehen ihr, dabei einfältige Beschwörungen vor sich hin murmelnd, vorsichtshalber aus dem Weg. Der Umstand, mit dieser allseits gefürchteten Respektsperson verwandt zu sein, verschafft dem Jungen bei den frecheren, die längste Zeit des Tages sich selbst überlassenen Straßenkindern ein passables Ansehen.
der onkel nimmt ihn mit in die dunkle höhle des lichttheaters die böse schwarze fee verflucht die neugeborene prinzessin morgenröte aus ihrem zauberstab zucken heftige blitze und unheilvoll kracht der donner am ende verwandelt sich die fratzenhafte gestalt der fee in einen entsetzlichen feuerspeienden drachen zu den überlebensgroßen bildern baut die begleitmusik eine bedrohliche kaum zu ertragende spannung auf von elementarer angst gepackt und in den sessel gebannt übersteht das kind die filmvorführung mit schockgeweiteten augen
Er spürt, dass irgendetwas mit ihm oder seiner Familie nicht stimmt, denn zuweilen entnimmt er dem unerfindlichen Gerede der Erwachsenen über den Konsumverein, den Lastenausgleich, die Sterbekasse und das Wirtschaftswunder noch andere höchst sonderbare Dinge, aus denen er nicht recht schlau wird, und dann klingen ihm immer wieder die anzüglichen Fragen der Straßenkinder nach dem Verbleib seiner Mutter gehässig in den Ohren. Cornelius kann tatsächlich nicht sagen, wo und bei wem seine Mutter abgeblieben ist und was sie im Grunde davon abhalten mag, nach Hause zu kommen. Aber er weiß, dass weder Tante Carla noch Großmutter Lena sonderlich gut auf die von heute auf morgen
Weitere Kostenlose Bücher