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Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)

Titel: Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Günther
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Verrichtungen mit der Uhr stoppte, hat er es stets verstanden, ihren Fortgang zu verlangsamen, auch hütete er sich wohlweislich, seine Tricks und Einsichten an andere Kollegen, die er anzulernen hatte, weiterzugeben. Da durch deren offenkundige Unbeholfenheit ein Propeller nach dem anderen in Schrott verwandelt wurde, ist Ludwigs Person und Befähigung für das von den Kriegsherren peinlich erwünschte Gelingen der Arbeit unabkömmlich geworden. Während viele seiner Kameraden, auch sein Bruder, der gleichzeitig mit ihm zum Militär eingezogen wurde, allenthalben in Europa, in der Normandie, in der Ukraine, in Albanien, in Norwegen, aber auch an Rhein und Main in Kampf- und Vernichtungshandlungen zum Einsatz und dabei um ihr Leben gekommen sind, harrte Ludwig, dank ebenso glücklicher wie gewiefter Arrangements, bis zum Einmarsch der Amerikaner auf seinem Druckposten aus. Statt wie andere zu den Motorenwerken abkommandierte Soldaten in einer Baracke des Arbeitsdienstes zu nächtigen, ist er allabendlich, obwohl derlei unerlaubte Entfernung bei Entdeckung strengstens geahndet wurde, mit der Trambahn, sofern diese überhaupt noch gefahren ist, oder mit dem vorsorglich außerhalb des Betriebsgeländes abgestellten Fahrrad nach Hause gekommen.
    Dies tat er auch nach dem verheerenden Fliegerangriff, der im September 1943 ganze Fabrik- und Wohnviertel in Obersendling und Thalkirchen und nicht zuletzt auch das alte Schulhaus, in dem er mit seiner Mutter wohnte, in Schutt und Asche gelegt hat. Wie durch ein Wunder aber waren in dem ansonsten restlos zerstörten Haus die Wände der ebenerdigen Wohnung stehen geblieben. In der Nachbarschaft lagen nach dem Bombardement massenhaft Essensmarken verstreut, deren Ausgabestelle sich in der alten Schule befunden hatte. Ludwig klaubte davon auf, was er nur greifen konnte. Mit den dank des reichlichen Markenschatzes vorhandenen Lebensmitteln bekochte seine Mutter ein rundes Dutzend Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener, die ihr findiger Sohn sich von einem ihm gut bekannten Aufseher im ebenfalls vom alliierten Bombenteppich erfassten Obersendlinger Barackenlager, dem sogenannten Russenlager, »ausgeliehen« hatte. Die ins Reich verschleppten Russen, Ukrainer und Polen, die den tödlichen Angriff, bei dem das halbe Lager in die Luft geflogen war, mit knapper Not überlebt hatten, räumten nun den Schutt der anderen beiseite, zimmerten der Ruine eine behelfsmäßige Bedachung zurecht und setzten ihr neue Türen und Fenster ein.
    Unmittelbar nach Kriegsende plante Ludwig mit einem anderen Werkzeugmacher, einem Kollegen aus der Lehrzeit, nach Südafrika auszuwandern. Als daraus nichts wurde, bewarb er sich bei der Schutzpolizei; da ihm aber der Streifendienst in blauer Uniform zuwider war, betrieb er bald seine Versetzung zu einer von den Amerikanern geleiteten Dienststelle. Das war ein gelungener Schachzug, der ihm in der Folge nicht nur zu einer höheren und besser vergüteten Laufbahn verhalf, sondern auch eine gehaltvollere Verpflegung und allerhand Extravergünstigungen einbrachte. Vergünstigungen materieller Art, die ihn und seine Familie aus dem Gröbsten heraushielten, als sich in dem strengen Hungerwinter von 1946/47 Tausende genötigt sahen, zum Hamstern ins Umland zu ziehen. Bald nach der Versetzung zur neuen Abteilung wurde er aufgrund einer anonym eingegangenen Denunziation zu einem Routineeinsatz eingeteilt, einer Hausdurchsuchung wegen Schwarzhandels, die einer Pasinger Villa galt.
    Ludwig pflegte derlei Einsätze, die ihm eigentlich gegen den Strich gingen, wie er später betonte, mehr oder weniger lasch zu handhaben, das eine oder andere Mal hat er wohl auch, in Anbetracht der wirtschaftlichen Notzeiten, ein Auge zugedrückt, aber gerade bei dieser Hausdurchsuchung verhielten sich die in der Villa anwesenden Personen, eine jüngere Frau, die ihm und seinem Kollegen öffnete, sowie vier oder fünf ältere Männer, die im düster verhangenen, von Zigarettenrauch vernebelten Wohnzimmer bei Kaffee und Kognak um einen Tisch herum in Sesseln und auf einem Sofa saßen, so auffallend verdächtig, dass ihm nichts anderes übrig geblieben ist, als so zu handeln, wie man es von einem Polizisten gemeinhin erwartet. Denn während er eher nachlässig auf Bücherregalen, in Schränken und Zimmerecken nach suspekten Waren Ausschau hielt, nahm er aus dem Augenwinkel eine blitzschnelle Bewegung wahr. Einer der in angespannter Haltung auf dem Sofa sitzenden Männer hatte ein Bündel Papier

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