Watschenbaum: Roman einer Kindheit (German Edition)
unter dem Gesäß hervorgezogen und vergebens versucht, es in den Spalt zwischen Sitzpolster und Lehne zu stopfen und verschwinden zu lassen.
Nachdem Ludwig das Verdacht erregende Bündel erst einmal sichergestellt hatte, kam er kaum mehr umhin, die Anwesenden, die darüber sonderbar erleichtert zu sein schienen, festzunehmen und abzuführen. Die anschließende Durchsuchung ihrer Taschen förderte nämlich noch etliche auf verschiedene Namen ausgestellte Pässe und Führerscheine zutage. Bei den Papieren hat es sich, wie später eine genauere Überprüfung ergeben sollte, um Statuten und Sitzungsprotokolle einer klandestinen nationalsozialistischen Organisation gehandelt, bei der wegen Schwarzhandels denunzierten Frau um die ehemalige Sekretärin eines Parteibonzen, bei ihren suspekten Gästen um zur Fahndung ausgeschriebene SA-Gruppenführer und bei der Kaffeerunde um eine Geheimsitzung aus der Übung gekommener Verschwörer, die das ungewohnte Leben in der Illegalität zermürbt und zu wahren Nervenbündeln gemacht hatte.
Ludwig empfand die Festnahme der abgehalfterten Offiziere und Generäle keineswegs als Glückstreffer, denn in den Zeitungen, die über den Vorfall berichteten, ist dick und fett sein Name gestanden, und in dem nachfolgenden Militärgerichtsprozess, der unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen im zeitweiligen Verwaltungssitz der amerikanischen Militärregierung stattgefunden hat, musste er als erster Zeuge aussagen. Da man aber, so unmittelbar nach dem Krieg, noch nicht wissen konnte, ob nach einem absehbaren Ende der Besatzungszeit die von den Amerikanern installierten demokratischen Verhältnisse auch von bleibender Dauer sein würden, bekam es Ludwig gehörig mit der Angst zu tun. Lange Zeit plagte ihn die Befürchtung, die Nazis könnten wieder ans Ruder gelangen und sich an dem kleinen Polizisten, der unabsichtlich ihre Pläne durchkreuzt hatte, rächen wollen.
Eines Morgens hat Ludwig in seiner Mansardenwohnung das Klingeln des Weckers überhört und um einiges verschlafen, danach hat er sich auch noch beim Rasieren mehrmals geschnitten und viel zu viel kostbare Zeit mit Frühstücken vertrödelt, er muss sich also ziemlich sputen, will er noch pünktlich seinen Polizeidienst antreten. Er stürmt daher, zwei Stufen auf einmal nehmend, das Stiegenhaus hinunter, aber kaum dass er das vorletzte Stockwerk passiert hat, hört er ein unergründliches Rasseln und Röcheln, das aus einer halb offen stehenden Wohnungstür kommt. Nun erst gewahrt er, dass sich auf dem Holzboden des Treppenabsatzes eine breite Blutspur abzeichnet, die bis zur Türschwelle führt, zudem sind in halber Höhe Laibung, Türblatt und -griff mit Blut verschmiert. Unschlüssig hält Ludwig einen Augenblick inne und hört mit Grausen, wie im Inneren der Wohnung das Röcheln in ein Winseln und Wimmern übergeht. Doch ausgerechnet an diesem Morgen hat das verschlafene Auge des Gesetzes keine Zeit, das unheimliche Rätsel, das sich ihm da stellt, mit der gebotenen Neugier zu entwirren. Der Dienst ruft – und ein solcher Ruf geht allemal vor. Es gilt also, nicht unnötig Zeit zu verlieren. Selbst in einem dermaßen eindeutigen Fall kann und darf ein Polizist keine Ausnahme machen.
Das beunruhigende Bild der Blutspuren und die verstörenden Geräusche schlägt Ludwig sich einfach aus dem Kopf, er verweilt auch keine Sekunde länger vor der Türschwelle, sondern setzt unbeirrt seinen Weg nach unten fort. Schleunigst schwingt er sich auf die vor dem Haus abgestellte Maschine und braust mit Hochgeschwindigkeit zum Revier und zu der ihn dort erwartenden banalen Gewissheit routinierter Aufgaben, und tatsächlich gelingt es ihm, die verlorenen Minuten wettzumachen und rechtzeitig zum Dienstbeginn einzutreffen.
Der so unüberhörbar in der eigenen Wohnung verendete Mensch ist ein mehrfach vorbestrafter Koch gewesen, der in der Kantine des Großbetriebes, in dem er beschäftigt war, eine größere Menge Fleisch und Konserven unterschlagen und auf eigene Rechnung weiterverkauft hat. Nachdem seine Machenschaften aufgeflogen waren, ist ihm auf der Stelle gekündigt worden, außerdem hatte er noch eine Anzeige zu gewärtigen. Aus einer Heidenangst vor der Polizei und dem Gefängnis brachte sich der Dieb mit der scharf geschliffenen Klinge eines Küchenmessers eine klaffende Halswunde bei, bekam es aber nach Vollendung seiner Verzweiflungstat mit einer entsetzlichen Angst vor dem Tod zu tun. Also ist der Schwerverletzte aus der Wohnung
Weitere Kostenlose Bücher