Waugh, Evelyn
das ist Charles.«
Basil betrachtete das Foto lange. Das Mädchen war pummelig und schien zu zappeln, aber mehr ärgerlich über den Unfug als amüsiert. »Wie vergesslich man doch wird. Sie war doch sicher eine gute Freundin von mir.«
»O nein. Margot hatte sie nur für Peter aufgetrieben.«
[469] Basils an Bosheit einst so fruchtbare, in letzter Zeit so eingeschläferte Phantasie begann, sich in der Stunde der Not zu regen und zu beleben.
»Dieses Foto bringt mich auf eine Idee.«
»Basil, du hast wieder diesen alten schurkischen Blick. Was führst du im Schilde?«
»Ach, nur so eine Idee.«
»Du willst doch Barbara nicht in den Serpentine werfen?«
»So weit liegst du gar nicht daneben«, sagte Basil.
»Fahren wir doch zum Serpentine und setzen uns dort ein wenig ans Wasser«, sagte Basil nachmittags zu seiner Tochter.
»Ist es da nicht ziemlich kalt?«
»Jedenfalls ist es dort still. Pack dich gut ein. Ich habe nämlich mit dir zu reden. Ernsthaft.«
»Bist du gut aufgelegt?«
»So gut wie selten.«
»Warum können wir nicht hier reden?«
»Deine Mutter könnte dazukommen. Was ich dir zu sagen habe, geht sie nichts an.«
»Ich wette, es geht um Charles und mich.«
»Natürlich.«
»Und kein Strafgericht?«
»Im Gegenteil. Warmes väterliches Mitgefühl.«
[470] »Dafür lohnt sich’s sogar zu frieren.«
Unterwegs sprachen sie nicht. Basil schickte den Wagen fort und sagte, sie würden schon irgendwie nach Hause kommen. Um diese kühle spätnachmittägliche Herbststunde, die trockenen Blätter fielen schon, fanden sie im Park sofort eine leere Bank. Das Licht war mild; es war einer jener Tage, da London an Dublin erinnerte.
»Charles sagt, dass er mit dir gesprochen hat. Er ist sich nicht sicher, ob du ihn magst.«
»Ich mag ihn sehr.«
»Oh, Pumpel !«
»Er hat mir zwar nichts auf der Gitarre vorgespielt, aber ich habe sein Genie erkannt.«
»Pumpel, was führst du im Schilde?«
»Das hat Sonia auch gefragt.« Basil stützte das Kinn auf den Spazierstock. »Weißt du, Babs, ich will doch nichts weiter, als dass du glücklich wirst.«
»Das klingt gar nicht nach dir. Du hast irgendwelche bösen Hintergedanken.«
»Im Gegenteil. Aber du darfst ihm oder deiner Mutter nichts von dem sagen, was ich dir gleich erzähle. Charles’ Eltern sind tot, es trifft sie nicht mehr. Ich habe seine Mutter einmal sehr gut gekannt; er weiß vielleicht nicht, wie gut. Die Leute haben sich oft gewundert, wieso sie Albright [471] geheiratet hat. Das war eine Blitzheirat, weißt du, als er auf Urlaub war und jede Nacht die Sirenen heulten. Es war um die Zeit, als ich gerade aus dem Krankenhaus kam, kurz bevor ich deine Mutter heiratete.«
»Pumpel, es ist sehr kalt hier, und ich weiß nicht, was diese ganze Vorgeschichte mit mir und Charles zu tun hat.«
»Es fing an«, fuhr Basil unerbittlich fort, »als – wie hieß sie noch? – Betty jünger war als du jetzt. Ich hatte sie in King’s Thursday in einen Teich geworfen.«
»Was fing da an?«
»Dass sie sich in mich verliebte. Komisch, was junge Mädchen alles verliebt machen kann – bei dir eine Gitarre, bei Betty ein unfreiwilliges Bad.«
»Aber das finde ich doch ziemlich romantisch. Es bringt dich und Charles sozusagen näher.«
»O ja, sehr nah. Es war nämlich mehr als nur romantisch. Sie war anfangs zu jung – bloß eine mädchenhafte Schwärmerei. Ich dachte, sie würde darüber hinwegkommen. Aber als ich dann verwundet war, kam sie mich jeden Tag im Krankenhaus besuchen, und als ich den ersten Tag herauskam – du kannst vielleicht nicht verstehen, wie ungemein leicht ein Mann sich in einer solchen Situation fühlt, oder wie anziehend eine [472] Verwundung auf manche Frauen wirkt, oder welcher verantwortungslose Leichtsinn uns alle erfasst hatte in der Zeit des Blitzkriegs –, ich versuche mich hier nicht zu entschuldigen. Ich war nicht der erste Mann. Sie war seit jenem Bad im Teich erwachsen geworden. Es ging nur eine Woche lang. Strenggenommen hätte ich sie vielleicht heiraten sollen, aber ich war damals nicht so streng. Ich habe stattdessen deine Mutter geheiratet. Darüber kannst du dich nicht beklagen. Sonst gäbe es dich nämlich nicht. Betty musste sich anderweitig umschauen, und da kam zum Glück genau im richtigen Augenblick dieser Esel Albright daher. Jawohl, Babs – Charles ist dein Bruder. Wie könnte ich ihn also nicht gernhaben?«
Ohne einen Ton stand Barbara auf, rannte durch die Dämmerung davon, stolperte auf ihren
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