Waugh, Evelyn
Seine Stimme war nicht mehr das Instrument von früher. Anfangs war es eine bewusste Posse gewesen; dann zur Gewohnheit geworden; die antiquierten, lebensklugen Moralvorstellungen, die er mit dieser Stimme äußern zu müssen glaubte, hatten sich als seine eigenen Meinungen in ihm festgesetzt. Was als Spiel zu Barbaras Belustigung angefangen hatte, eine Parodie auf Sir Joseph Mannering, ein Stück, in dem der liebe alte Pumpel die von ihm erwartete verknöcherte Rolle spielte, diese Parodie war zur persona geworden.
[445] Das Telefon riss ihn aus seinen Betrachtungen. »Nehmen Sie ein Gespräch von Mrs. Sothill an?«
»Babs.«
»Basil. Ich wollte nur mal wissen, wie’s dir so geht.«
»Man ist sehr zufrieden mit mir.«
»Abgenommen?«
»Nur noch Haut und Knochen. Und jetzt sorge ich mich um meine Seele.«
»Du Affe. Hör zu. Ich sorge mich zurzeit um Barbaras Seele.«
»Was hat sie ausgefressen?«
»Ich glaube, sie ist verliebt.«
»Quatsch.«
»Jedenfalls bläst sie Trübsal.«
»Wahrscheinlich vermisst sie mich.«
»Wenn sie gerade nicht Trübsal bläst, telefoniert sie oder schreibt Briefe.«
»Nicht an mich.«
»Nein. An irgendwen in London.«
»Robin Trumpington?«
»Sie sagt mir ja nichts.«
»Kannst du denn nicht mal zuhören, wenn sie telefoniert?«
»Das habe ich natürlich schon versucht. Es ist auf jeden Fall ein Mann, mit dem sie redet. Ich kann nicht direkt verstehen, was sie sagen, aber [446] es klingt sehr zärtlich. Du möchtest doch sicher nicht, dass sie durchbrennt, oder?«
»So was würde ihr im Traum nicht einfallen. Setz dem Kind um Gottes willen keinen Floh ins Ohr. Gib ihr Rizinus.«
»Also bitte, wenn es dir egal ist, von mir aus. Ich wollte dich nur warnen.«
»Sag ihr, dass ich bald wieder zurück bin.«
»Das weiß sie schon.«
»Na gut, dann halt sie hinter Schloss und Riegel, bis ich hier rauskomme.«
Basil berichtete Angela von dem Gespräch. »Barbara sagt, Barbara ist verliebt.«
»Welche Barbara?«
»Meine. Unsere.«
»Das ist in ihrem Alter doch ganz normal. In wen?«
»Robin Trumpington, denke ich.«
»Na, der wäre doch recht.«
»Mein Gott, Angie, sie ist noch ein Kind!«
»In ihrem Alter habe ich mich auch verliebt.«
»Und man weiß ja auch, was daraus geworden ist. Der Kerl ist nur hinter meinem Geld her.«
» Meinem Geld.«
»Ich hab’s immer als meins angesehen. Jedenfalls bekommt sie davon keinen Penny. Nicht vor meinem Tod zumindest.«
[447] »Du siehst schon halb tot aus.
»Ich habe mich nie wohler gefühlt. Du hast dich nur noch nicht an meinen neuen Anblick gewöhnt.
»Du bist ganz wacklig.«
»›Entkörpert‹ wäre der richtige Ausdruck. Vielleicht brauche ich was zu trinken. Ganz bestimmt sogar. Diese Geschichte mit Babs ist ein zu großer Schock für mich – und genau im falschen Augenblick. Ich werde mal hingehen und mit dem Medizinmann reden.«
Und so trat er etwas später den Gang über die langen Korridore an, die zum Verwaltungstrakt führten. Er trat ihn an, doch kaum war er sechs kurze Schritte gehumpelt, da fiel ihm sein wiedererwachtes Gewissen in den Rücken. Schlich sich hier wirklich der vergeistigte, der neugeborene Basil wie ein Schuljunge hin, um sich von einem Kurpfuscher die Erlaubnis zu einer schlichten Selbstverständlichkeit zu holen? Schon bog er um die Ecke und machte sich auf den Weg zum Gymnastikraum.
Dort saßen rittlings auf einem niedrigen Turn-pferd zwei korpulente Damen in Badeanzügen, die bei seinem Eintreten hastig schluckten und sich die Krümel von den Lippen wischten. Ein elastischer junger Mann in Pullover und Shorts [448] sprach ihn streng an: »Einen Moment, Sir. Sie können hier nicht einfach ohne Termin hereinkommen.«
»Ich bin ganz privat hier«, sagte Basil, »weil ich ein Wörtchen mit Ihnen reden möchte.«
Der junge Mann sah ihn skeptisch an. Basil zückte seine Brieftasche und klopfte damit auf den Knauf seines Spazierstocks.
»Also, meine Damen, dann sind wir wohl für heute fertig. Wir sind schön vorangekommen. Augenblickliche Erfolge sind natürlich nicht zu erwarten, klar? Morgen dasselbe noch einmal.« Damit verschloss er ein kleines Emaillegefäß wieder mit einem Deckel. Die Damen warfen noch einen hungrigen Blick darauf, doch dann gingen sie in Frieden.
»Whisky«, sagte Basil.
»Whisky? Hören Sie mal, so etwas könnte ich Ihnen gar nicht geben, selbst wenn ich welchen hätte. Es würde mich meine Stelle kosten.«
»Ganz recht, es wird Sie sonst Ihre Stelle
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