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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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gleichgesinnte Fahrgast
    Als Mr. James die Seitentür hinter sich schloss, schallte aus sämtlichen Fenstern seines Hauses Rundfunkmusik. Agnes in der Küche hatte einen Sender eingestellt, seine Frau im Bad, wo sie sich die Haare wusch, einen anderen.
    Die konkurrierenden Programme verfolgten ihn zur Garage und bis auf die Straße.
    Er hatte zwölf Meilen zum Bahnhof zu fahren, und die ersten fünf über hielt sich seine schlechte Laune.
    Er war in nahezu jeder Hinsicht ein sanftmütiger Mensch – in jeder Hinsicht, könnte man sagen, außer einer: Er verabscheute das Radio.
    Nicht allein, dass er kein Vergnügen daran fand, es bereitete ihm aktiv Qualen, und mit den Jahren erachtete er die Erfindung mehr und mehr als vorsätzlich gegen seine Person gerichtet, ein Komplott seiner Feinde mit dem Ziel, ihm den ersehnten Frieden seiner letzten Lebensjahre zu stören und zu vergällen.
    [262] Dabei war er alles andere als ein alter Mann; er war erst Mitte fünfzig; doch er war früh, beinahe überhastet aus dem Berufsleben geschieden, sobald ihm eine kleine Erbschaft den Schritt ermöglicht hatte. Sein Leben lang hatte er die Ruhe geliebt.
    Mrs. James teilte diese Vorliebe nicht.
    Mittlerweile wohnten sie in einem kleinen Landhaus, zwölf Meilen vom nächsten annehmbaren Filmtheater entfernt.
    Das Radio war für Mrs. James eine Verbindung zu den sauberen Bürgersteigen und hellen Schaufenstern, eine Gemeinschaft mit Millionen von Mitmenschen.
    Mr. James sah das genauso. Das war es, was er am meisten missbilligte: die Verletzung seiner Privatsphäre. Mit zunehmendem Groll brütete er über die Profanität des weiblichen Geschlechts.
    In dieser Stimmung bemerkte er am Straßenrand einen stämmigen Mann ungefähr seines Alters, der den Wunsch signalisierte, mitgenommen zu werden. Er hielt an.
    »Kommen Sie vielleicht zufällig am Bahnhof vorbei?« Der Mann fragte es höflich mit leiser, leicht bedrückter Stimme.
    »Allerdings. Ich muss ein Paket abholen. Steigen Sie ein.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen.«
    [263] Der Mann nahm neben Mr. James Platz. Seine Schuhe waren staubig, und er ließ sich auf seinem Sitz zurücksinken, als wäre er von weit her gekommen und erschöpft.
    Er hatte sehr große hässliche Hände, kurzgeschnittene graue Haare, ein knochiges, regelrecht eingefallenes Gesicht.
    Eine gute Meile lang sagte er nichts. Dann fragte er plötzlich: »Hat dieses Auto ein Radio?«
    »Ganz gewiss nicht.«
    »Wozu ist dann dieser Knopf?« Er betrachtete prüfend das Armaturenbrett. »Und der da?«
    »Der eine ist der Anlasser. Mit dem anderen kann man sich normalerweise eine Zigarette anzünden. Er funktioniert nicht. Falls«, fuhr er scharf fort, »Sie mich in der Hoffnung angehalten haben, Radio zu hören, wäre es wohl das Beste, wenn Sie wieder aussteigen und Ihr Glück bei jemand anders versuchen.«
    »Gott bewahre«, sagte sein Fahrgast. »Das Ding ist mir ein Greuel.«
    »Mir auch.«
    »Sir, dann sind Sie einer unter Millionen. Ich fühle mich hoch geehrt, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
    »Danke. Es ist eine abscheuliche Erfindung.«
    Die Augen des Fahrgastes leuchteten vor [264] leidenschaftlicher Zustimmung. »Das ist gar kein Ausdruck. Es ist teuflisch.«
    »Sehr richtig.«
    »Buchstäblich teuflisch. Der Teufel hat es hier eingeführt, um uns zu vernichten. Wussten Sie, dass es die schrecklichsten Krankheiten verbreitet?«
    »Das wusste ich nicht. Aber ich glaube es gern.«
    »Es verursacht Krebs, Tuberkulose, Kinderlähmung und gewöhnlichen Schnupfen. Ich habe es bewiesen.«
    »Es verursacht mit Sicherheit Kopfschmerzen«, sagte Mr. James.
    »Kein Mensch«, sagte sein Fahrgast, »hat fürchterlichere Kopfschmerzen als ich. Die haben versucht, mich mit Kopfschmerzen umzubringen. Aber ich war zu schlau für sie. Wussten Sie, dass die BBC eine eigene Geheimpolizei hat, eigene Gefängnisse, eigene Folterkammern?«
    »Den Verdacht habe ich schon lange.«
    »Ich weiß es. Ich habe sie kennengelernt. Jetzt ist die Zeit der Rache gekommen.«
    Mr. James warf seinem Fahrgast einen besorgten Blick zu und beschleunigte ein wenig.
    »Ich habe einen Plan«, fuhr der kräftige Mann fort. »Ich werde nach London fahren, um ihn [265] auszuführen. Ich werde den Generaldirektor töten. Ich werde sie alle töten.«
    Sie fuhren schweigend weiter. Sie näherten sich den ersten Häusern am Stadtrand, als ein größeres Auto mit einer jungen Frau am Steuer sie überholte. Aus seinem Inneren drangen die unverkennbaren

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