Waugh, Evelyn
auf uns los. Hätten wir doch nur immer noch Frank!
Charles’ Handschrift hatte in der letzten Zeit ein paar ornamentale Züge bekommen – griechische Es und verschnörkelte Querstriche. Er pflegte diesen Schreibstil bewusst. Immer wenn Apthorpe vorbeikam, blätterte er in seinem Geschichtsbuch eine Seite um, zögerte und schrieb weiter, als notierte er sich etwas aus dem Buch. Die Uhrzeiger rückten auf halb acht, als aus dem Bogengang am anderen Ende des Unteren Hofs die Handglocke des Hausmeisters ertönte. Es war das Erlösungssignal. Überall im Arbeitssaal gingen die Köpfe hoch, wurden Seiten abgelöscht, Bücher zugeklappt und Füllfederhalter zugeschraubt. »Weiterarbeiten«, sagte Apthorpe, »ich habe noch nichts von Schluss gesagt.« Die Hausmeisterglocke bewegte sich im Bogengang weiter, wurde leiser unter dem Bogen bei der Bibliothekstreppe, war auf dem Oberen Hof kaum noch zu hören, wurde an der Treppe zu Old’s House wieder lauter und dann sehr laut auf dem Bogengang vor Head’s House. Endlich warf Apthorpe den Bystander auf den Tisch und sagte: »So.«
Die Schüler standen geräuschvoll auf. Charles [274] unterstrich das Datum oben auf der Seite – Mittwoch, 24. Sept. 1919 –, löschte es ab, schloss das Notizbuch in sein Spind und folgte mit den Händen in den Hosentaschen den andern in die Abenddämmerung.
Da er im dritten Jahr war, hatte er neuerdings das Recht, die Hände so in die Hosentaschen zu stecken – das Jackett zurückgeschlagen und nur am mittleren Knopf zu. Er durfte jetzt auch bunte Socken tragen und trug gerade welche aus blauvioletter Seide mit weißen Uhren, die er tags zuvor in der Jermyn Street gekauft hatte. Zu den Dingen, die bisher verboten gewesen, jetzt aber sein Recht waren, gehörte ferner, dass er mit einem Freund untergehakt gehen durfte, und das tat er jetzt und schlenderte Arm in Arm mit Tamplin zum Refektorium hinüber.
Oben auf der Treppe blieben sie kurz stehen und schauten in die Dämmerung. Links erhob sich der massige Kirchenbau; vor ihnen fiel das Gelände terrassenförmig bis zu den Sportplätzen ab, die ein dunkler Kranz von Ulmen umgab; Autoscheinwerfer bewegten sich die Küstenstraße hinauf und hinunter; ganz schwach noch war die Flussmündung als ein hellerer Streifen quer durch die graue Niederung zu erkennen, bevor sie in die stille, unsichtbare See überging.
[275] »Immer derselbe Blick«, sagte Tamplin.
»Was gäbe ich jetzt für die Lichter Londons!«, sagte Charles. »So ein Pech, dass du nicht im Schülerrat bist.«
»Ach was, ich hatte da keine Chance. Aber für dich ist es Pech.«
»Ich hatte erst recht keine Chance. Aber O’Malley !«
»Das kommt davon, dass wir statt Frank jetzt diesen blöden Graves haben.«
»Unser dicker Wheatley war ja ganz schön enttäuscht. Aber um die Schlafsaalaufsicht beneide ich O’Malley nicht.«
»Dadurch ist er aber in den Schülerrat gekommen. Ich erzähl’s dir nachher.«
Ab der Refektoriumstreppe mussten sie sich wieder aushaken, die Hände aus den Taschen nehmen und schweigen. Nach dem Tischgebet erzählte Tamplin weiter.
»Graves hat ihn Ende des letzten Trimesters zu sich kommen lassen und ihm gesagt, dass er ihm die Schlafsaalaufsicht übertragen will. Früher war die Aufsicht vom Oberen Schlafsaal ja nie im Schülerrat, erst seit dem letzten Trimester, nachdem wir Fletcher so schikaniert hatten und sie dann Easton aus dem Unteren Vorraum raufgeholt haben. O’Malley hat zu Graves gesagt, das [276] kann er ohne eine offizielle Position nicht annehmen.«
»Woher weißt du das?«
»O’Malley hat’s mir gesagt. Er fand, er wäre ziemlich schlau gewesen.«
»Typisch für Graves, auf so eine Laus reinzufallen.«
»Ist ja alles schön und gut«, beschwerte Wheatley sich von der andern Tischseite, »aber ich finde, die hatten kein Recht, uns Graves vor die Nase zu setzen. Ich bin doch nur nach Spierpoint gekommen, weil mein Vater Franks Bruder aus dem Regiment kannte. Ich kann euch sagen, ich war ganz schön sauer, als sie Frank versetzt haben. Ich glaube, er hat deswegen an den Direx geschrieben. Wir in Head’s House müssen am meisten zahlen und kriegen dafür von allem das Schlechteste.«
»Tee, bitte.«
»Immer derselbe Collegetee.«
»Immer dieselben Collegeeier.«
»Man braucht immer eine Woche, bis man sich an das Collegeessen gewöhnt hat.«
»Ich gewöhne mich nie daran.«
»Warst du in den Ferien in London oft im Restaurant?«
»Ich war nur eine Woche in London. Mein
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