Waugh, Evelyn
Charles unterzufassen. Die Schülerratswürde war nur im Haus von Bedeutung. Auf dem Hof war Charles der Ranghöhere, weil er schon zwei Jahre in Spierpoint war.
»Das mit dem Schülerrat tut mir schrecklich leid«, sagte O’Malley.
»Ich dachte, du freust dich.«
»Nein, kein bisschen. Es ist das Letzte, was ich wollte. Graves hat mir vorige Woche eine Postkarte geschickt, die hat mir das Ende der Ferien verdorben. Ich sag dir mal, wie das war. Graves hat mich letztes Trimester am letzten Tag zu sich bestellt. Du weißt ja, wie er so ist. ›Ich habe unerfreuliche Nachrichten für dich, O’Malley‹, hat er gesagt. ›Ich mache dich zur Aufsicht im Oberen Schlafsaal.‹ Ich sage: ›Das soll einer vom Schülerrat machen. Jemand anders kann da nicht für Ordnung sorgen.‹ Ich hab gedacht, er würde Easton oben lassen. Aber er sagt: ›Das ist eine Frage der Persönlichkeit, nicht eines Amtes.‹ Ich sage: ›Es hat sich gezeigt, dass einer das machen muss, der ein Amt hat. Sie wissen doch, wie wir bei Fletcher alle über die Stränge geschlagen haben.‹ Da sagt er: ›Fletcher war nicht der richtige Mann für die Aufgabe. Ich hätte sie ihm nie anvertraut.‹«
[282] »Eine typische Unverschämtheit von ihm. Fletcher war von Frank eingesetzt worden.«
»Ich wünschte, wir hätten immer noch Frank.«
»Das wäre allen lieber. Aber wieso erzählst du mir das eigentlich alles?«
»Weil ich nicht will, dass du denkst, ich hätte mich da hineingeschlichen. Tamplin habe ich so was nämlich schon sagen hören.«
»Also, was willst du? Du bist Schlafsaalaufsicht, und du bist im Schülerrat.«
»Stellst du dich hinter mich, Ryder?«
»Hast du je erlebt, dass ich mich hinter jemanden stelle, wie du das nennst?«
»Nein«, sagte O’Malley zerknirscht, »das ist es ja.«
»Und wieso denkst du jetzt, dass ich bei dir damit anfange?«
»Hab nur gedacht, du tust es vielleicht.«
»Falsch gedacht.«
Sie hatten den Hof auf drei Seiten umrundet und kamen jetzt vor die Tür von Head’s House. Dort stand Mr. Graves vor seinem Zimmer und unterhielt sich mit Mr. Peacock.
»Charles«, sagte er, »komm doch mal kurz her. Kennen Sie diesen jungen Mann schon, Peacock? Er ist einer von Ihren.«
»Ich glaube, ja«, sagte Mr. Peacock unsicher.
[283] »Eins meiner Problemkinder. Komm mal rein, Charles. Ich möchte mich mit dir unterhalten.«
Mr. Graves fasste ihn am Ellenbogen und führte ihn in sein Zimmer.
Es war noch kein Feuer angezündet, und die beiden Sessel standen vor einem leeren Kaminrost; nach dem Großreinemachen in den Ferien wirkte alles unnatürlich kahl und ordentlich.
»Setz dich.«
Mr. Graves stopfte seine Pfeife und sah Charles mit einem sanften, spöttischen Blick lange an. Er war noch keine dreißig und trug Lovat-Tweed und eine alte Rugby-Krawatte. Er war in Charles’ erstem Trimester schon in Spierpoint gewesen, und sie waren sich einmal auf dem Kleinkaliberschießstand begegnet; in jener kalten, unnahbaren Epoche hatte Charles sich an seiner Liebenswürdigkeit gewärmt. Dann war Mr. Graves zur Armee eingezogen worden und im vorigen Trimester als Haustutor von Head’s House zurückgekommen. Charles war inzwischen selbstbewusst geworden und brauchte keine liebenswürdigen Lehrer mehr; nur noch Frank, den Mr. Graves jetzt ersetzt hatte. Franks Geist erfüllte den Raum. Mr. Graves hatte ein paar Medici-Drucke anstelle von Franks Fußballmannschaften aufgehängt. Die Sammlung Gregorianische Dichtung im [284] Bücherschrank gehörte ihm, nicht Frank. Sein Collegewappen schmückte die Tabakdose auf dem Kaminsims.
»Nun, Charles Ryder?«, meinte Mr. Graves schließlich. »Bist du nicht gut auf mich zu sprechen?«
»Sir?«
Mr. Graves wurde plötzlich ungehalten. »Wenn du es vorziehst, dazusitzen wie eine Steinstatue, kann ich dir auch nicht helfen.«
Charles sagte noch immer nichts.
»Ich habe einen Freund«, sagte Mr. Graves, »der sich mit Buchmalerei beschäftigt. Ich dachte, es würde dich vielleicht freuen, wenn ich ihm einmal die Arbeit zeige, die du letztes Trimester zum Kunstwettbewerb eingeschickt hast.«
»Ich habe sie leider zu Hause gelassen, Sir.«
»Hast du in den Ferien was gemalt?«
»Ein bisschen, Sir.«
»Und du malst nie nach der Natur?«
»Nein, Sir, nie.«
»Eine eigenwillige, eigenbrötlerische Beschäftigung für einen Jungen in deinem Alter. Aber das ist deine Sache.«
»Ja, Sir.«
»Du bist ein schwieriger Gesprächspartner, nicht wahr, Charles?«
[285] Nicht
Weitere Kostenlose Bücher