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Waugh, Evelyn

Waugh, Evelyn

Titel: Waugh, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ausflug ins wirkliche Leben
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mit jedem. Nicht mit Frank, hätte Charles am liebsten gesagt; mit Frank konnte ich stundenlang reden. Er sagte aber nur: »Wahrscheinlich schon, Sir.«
    »Na schön, aber ich will mit dir reden. Ich nehme an, du fühlst dich in diesem Trimester ein wenig schlecht behandelt. Natürlich sind alle in deinem Jahrgang in einer recht schwierigen Situation. Normalerweise wären nach Ende des letzten Trimesters sieben oder acht Leute abgegangen, aber wegen des Kriegsendes bleiben viele jetzt ein Jahr länger und versuchen, sich ein Universitätsstipendium zu erarbeiten. Nur Sugdon ist gegangen, und statt eines allgemeinen Nachrückens wurde nur ein Platz an der Spitze frei. Also auch nur ein Platz im Schülerrat. Du findest wahrscheinlich, dass er dir zugestanden hätte.«
    »Nein, Sir, es wären zwei andere vor mir dran gewesen.«
    »Aber nicht O’Malley. Ob ich dir wohl begreiflich machen kann, warum ich ihn dir vorgezogen habe? Du warst in mehrfacher Hinsicht der naheliegende Kandidat. Es ist nur so, dass manche Leute Autorität brauchen, andere nicht. Du hast eine starke Persönlichkeit. O’Malley ist überhaupt nicht selbstsicher. Er könnte sehr leicht in Zweitklassigkeit absinken. Die Gefahr [286] besteht bei dir nicht. Außerdem gilt es, an die Schlafsaalaufsicht zu denken. Ich vertraue darauf, dass du loyal unter O’Malley arbeiten wirst. Ob ich darauf vertrauen könnte, dass er loyal unter dir arbeiten würde, weiß ich nicht. Verstehst du? Es war schon immer ein schwieriger Schlafsaal. Ich will keine Wiederholung dessen, was mit Fletcher passiert ist. Kannst du das verstehen?«
    »Ich verstehe, was Sie meinen, Sir.«
    »Du bist ein ganz schön harter Brocken, was?«
    »Sir?«
    »Ach ja, hau schon ab. Ich mag meine Zeit nicht mehr mit dir verschwenden.«
    »Danke, Sir.«
    Charles erhob sich zum Gehen.
    »Ich bekomme in diesem Trimester eine kleine Handdruckpresse«, sagte Mr. Graves. »Ich dachte, das könnte dich interessieren.«
    Das interessierte Charles brennend. Es beschäftigte ihn unentwegt in seinen Tagträumen; in der Andacht, in der Schule, im Bett, in all jenen seltenen Perioden der Ablenkung, in denen andere von Rennautos, Pferden und Schnellbooten träumten, dachte Charles lange und oft an eine eigene Druckerpresse. Aber es wäre ihm nicht eingefallen, Mr. Graves merken zu lassen, welche Flut von Bildern vor seinem inneren Auge aufstieg.
    [287] »Ich halte die Erfindung der beweglichen Lettern für eine Katastrophe, Sir. Sie hat die Kalligraphie zerstört.«
    »Was bist du doch für ein überheblicher Schnösel, Charles«, sagte Mr. Graves. »Du bist mir zuwider. Geh. Und schick Wheatley zu mir. Du könntest ruhig versuchen, mich weniger abzulehnen. Es ist reine Zeitverschwendung für uns beide.«
    Die zweite Abendaufgabenstunde hatte bereits angefangen, als Charles wieder in den Arbeitssaal kam; er meldete sich bei der Hausaufsicht zurück, schickte Wheatley zu Mr. Graves und setzte sich vor sein Geschichtsbuch, um eine halbe Stunde tagzuträumen, sich die großen Folianten vorzustellen, die breiten Ränder, das handgeschöpfte Büttenpapier, die gravierten Initialen, die Titelblätter und Kolophone, die aus seiner privaten Druckerpresse kommen würden. In der dritten Abendstunde durfte »gelesen« werden; Charles las Hugh Walpoles Der Reiter auf dem Löwen.
    Wheatley kam erst wieder, als die Glocke die Abendarbeit beendete.
    Tamplin begrüßte ihn mit: »Großes Pech, Wheatley. Wie viele hast du gekriegt? War’s schlimm?«, Charles mit: »Na, du hattest aber ein [288] langes Palaver mit Graves. Worüber hat er denn bloß mit dir gesprochen?«
    »Es war ziemlich vertraulich«, sagte Wheatley feierlich.
    »Oh, Verzeihung.«
    »Nein, euch erzähle ich es schon mal irgendwann, wenn ihr mir versprecht, dass ihr es für euch behaltet.« Sie gingen zusammen die Turmtreppe zu ihrem Schlafsaal hinauf. »Sagt mal, ist euch eigentlich etwas aufgefallen? Apthorpe ist dieses Trimester im Oberen Vorraum. Der Hausaufsichtsjunior war doch sonst immer im Unteren Vorraum. Ich frage mich, wie er das geschafft hat.«
    »Warum sollte er das überhaupt wollen?«
    »Weil Wykham-Blake in den Oberen Vorraum verlegt worden ist, du Unschuldslamm.«
    »Wie rücksichtsvoll von Graves.«
    »Weißt du, manchmal denke ich, wir haben Graves vielleicht doch falsch eingeschätzt.«
    »Beim Essen hast du das aber noch nicht gedacht.«
    »Nein, aber seither bin ich ins Nachdenken gekommen.«
    »Das heißt, er hat dir Honig ums Maul

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