Waugh, Evelyn
[277] Bruder ist mit mir mal mittags ins ›Berkeley‹ essen gegangen. Da wäre ich jetzt lieber. Hab zwei Gläser Portwein getrunken.«
»Das ›Berkeley‹ ist abends ganz in Ordnung«, sagte Charles, »wenn man gern tanzt.«
»Mittags ist es da auch mehr als in Ordnung. Du solltest mal die Horsd’œuvres sehen! Schätzungsweise zwanzig bis dreißig zur Auswahl. Danach hatten wir Moorhuhn und ein Baiser mit Eis drin.«
»Ich war zum Abendessen im õ d’Italie‹.«
»Oh, wo ist denn das?«
»Ein kleines Lokal in Soho, das nicht viele kennen. Meine Tante spricht fließend italienisch, daher kennt sie sich mit solchen Orten aus. Marmor und Musik gibt’s da natürlich nicht. Nur gute Küche. Maler und Schriftsteller verkehren dort. Meine Tante kennt viele davon.«
»Mein Bruder sagt, alle Offiziere aus Sandhurst gehen ins ›Berkeley‹. Man lässt da natürlich auch ganz schön was liegen.«
»Ich finde das ›Berkeley‹ ziemlich gewöhnlich«, meinte Wheatley. »Als wir aus Schottland zurückgekommen sind, haben wir im ›Claridge‹ gewohnt, weil in unserer Wohnung noch die Handwerker waren.«
»Mein Bruder nennt das ›Claridge‹ eine Bruchbude.«
[278] »Klar, jedermanns Geschmack ist das nicht. Einigermaßen exklusiv.«
»Dann frag ich mich, was unser dicker Wheatley da macht.«
»Du brauchst mir nicht gleich so billig zu kommen, Tamplin.«
»Ich sage immer«, mischte sich plötzlich ein Junge namens Jorkins ein, »das beste Essen in ganz London gibt’s im Holborn-Grill.«
Charles, Tamplin und Wheatley wandten sich mit kalter Neugier dem Störenfried zu, endlich einig in ihrer gemeinsamen Verachtung. »So, sagst du das, Jorkins? Das ist aber sehr originell von dir.«
»Du sagst das immer, Jorkins? Wird es dir nicht manchmal langweilig, immer dasselbe zu sagen?«
»Da gibt’s eine Table d’hôte für viereinhalb Shilling.«
»Bitte, Jorkins, erspar uns die grausigen Details deiner Fressgelage.«
»Bitte, bitte, dachte ja nur, es interessiert euch.«
»Glaubt ihr«, fragte Tamplin, demonstrativ nur an Charles und Wheatley gerichtet, »dass Apthorpe scharf auf Wykham-Blake ist?«
»Ach nein, wirklich?«
»Heute Abend ist er jedenfalls ständig um ihn herumgeschwirrt.«
[279] »Der Junge wird Trost brauchen, nachdem sein herzallerliebster Sugdon weg ist. In der Unterstufe hat er keinen einzigen Freund.«
»Was haltet ihr von Peacock?« (Charles, Tamplin und Wheatley waren alle drei in der Humanistischen Oberen Fünften bei Mr. Peacock.)
»Angefangen hat er ganz anständig. Keine Hausaufgaben heute.«
»Schikanabel?«
»Glaub ich nicht. Aber lasch.«
»Lasch ist mir lieber als schikanabel. War letztes Trimester ganz schön anstrengend, Teeküchelchen zu schikanieren.«
»War aber drollig.«
»Hoffentlich ist er nicht gleich so lasch, dass wir nächsten Sommer unsere Zertifikate nicht schaffen.«
»Büffeln kannst du immer noch im letzten Trimester. Auf der Universität arbeitet auch keiner bis kurz vor den Prüfungen. Dann lernen sie die ganze Nacht und halten sich mit schwarzem Kaffee und Strychnin wach.«
»Wär doch ein Riesenspaß, wenn keiner von uns das Zertifikat schaffte.«
»Was würden sie dann wohl machen?«
»Wahrscheinlich Peacock rausschmeißen.«
Es wurde wieder gebetet, und dann strömte [280] die ganze Schule auf den Hof hinaus. Es war jetzt dunkel. Die Bogengänge waren in Abständen von Gaslampen erhellt. Beim Gehen wurde der Schatten vor einem immer länger und schwächer, bis man sich der nächsten Lichtquelle näherte und er verschwand, dann hinter einem wieder auftauchte, dort kürzer und immer dunkler wurde, wieder verschwand und erneut vor einem erschien. In der Viertelstunde zwischen Abendessen und zweiter Aufgabenstunde spazierte man meist zu zweit oder dritt nebeneinander durch die Bogengänge um den Hof; nur Aufsichtsschüler hatten das Recht, zu viert nebeneinanderzugehen. Auf der Treppe des Refektoriums trat O’Malley auf Charles zu. Er war ein unansehnlicher Junge, ein Emporkömmling, der erst spät in einem Zwischentrimester nach Spierpoint gekommen war. Er war in Armeeklasse B , und sein einziges Plus war große Ausdauer beim Geländelauf.
»Kommst du mit zu Graves?«
»Nein.«
»Stört’s dich, wenn ich ein bisschen mit dir gehe?«
»Nicht besonders.«
Sie schlossen sich den spazierenden Paaren an; ihre Schatten wurden vor ihnen länger und blieben auf Abstand. Charles fasste O’Malley nicht [281] unter. O’Malley traute sich nicht,
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