Weg da das ist mein Fettnapfchen
einem Rollwägelchen an uns vorbei, nur dass bei ihm an einem Haken vorn am Einkaufskörbchen ein riesiger Sack baumelte, allem Anschein nach prall gefüllt mit Urin.
»Wie ist das denn möglich?«, sagte ich zu meinem Mann, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte, um ein paar Gemeinheiten von mir zu geben. »Hast du eine Ahnung, wie lange es dauert, um vier Liter zu pinkeln? Doch mindestens ein paar Tage. Mindestens! Und du willst mir nicht erzählen, dass Mr Rollwägelchen seit Montag an keinem Waschbecken vorbeigekommen ist.«
Mein Mann sah mich nur an.
»Das«, sagte ich mit einer Geste in Richtung des Korridors, den der Beschuldigte gerade entlangbretterte, »hat mir echt den Rest gegeben. Einmal an einem Zeitschriftenständer hängen geblieben oder über einen Besenstiel geholpert, schon zerreißt das Ding, und die ganze Sauerei spritzt in einem Umkreis von drei Metern herum. Was würdest du tun, wenn dir wochenalter Urin ins Gesicht klatschen würde und du dabei dem Mann in die Augen sehen müsstest, der ihn produziert hat? Garantiert träume ich die nächsten drei Nächte von diesem surrenden Urinal auf Rädern. Deshalb hasse ich es so hierherzukommen. Ich habe keine Ahnung, wieso ich mich von dir habe überreden lassen.«
»Du hast eine tiefe Stichwunde von einer Schere im Fuß«, antwortete mein Mann. »Und wir sind hier, weil du seit zwanzig Jahren keine Tetanusspritze mehr bekommen hast. Aber wenn Zungenlähmung auch zu den Krankheitsbildern von Wundstarrkrampf gehört, bringe ich dich gern auf der Stelle wieder nach Hause.«
Das war also der Grund, weshalb ich beim Arzt saß. Am Tag zuvor hatte ich nach einem bestimmten Paar Schuhe gesucht. Gerade als ich die Schachtel vom Regal nehmen wollte, sah ich etwas auf dem Boden aufblitzen, und Sekunden später spürte ich einen üblen Schmerz im Fuß. Eigentlich tat es gar nicht mal sooo schrecklich weh, aber als ich das Blut aus der Wunde sprudeln sah, die einen Eindruck machte, als hätte John Wayne auf eine Melone geschossen, wurde mir ganz anders.
Im Handumdrehen stand ich in einer rasch größer werdenden Lache, und nachdem ich die Treppe hinuntergehumpelt war und die Blutung zum Stillstand gebracht hatte, stellte ich fest, dass die Wunde tiefer war, als ich im ersten Moment angenommen hatte.
»Oh, du wirst eine Auffrischung deiner Tetanusimpfung brauchen«, stellte mein Mann fest, als er mich sah.
»Klappe«, blaffte ich zurück. »Nein. Das geht schon. Das heilt von allein wieder.«
Mein Mann verdrehte die Augen.
»Brich dir den Zeh oder die Nase, alles kein Problem«, sagte er. »Aber mit Wundstarrkrampf ist nicht zu spaßen. Du kriegst Zuckungen wie die kleine Megan im Film Der Exorzist, die vom Teufel besessen ist und im Spinnengang die Treppe runterkommt. Die Art von Zuckungen, bei denen die Leute im Mittelalter und stramme Katholiken von heute sofort den Priester kommen lassen. So hatte ich mir die ideale Ehefrau eigentlich nicht vorgestellt.«
Ich wollte nicht zum Arzt. Wirklich nicht. Auf keinen Fall. Lieber blieb ich zu Hause und ging das Risiko ein, von den fiesesten Muskelkrämpfen heimgesucht zu werden und mich fortan lediglich mittels eines Strohhalms verständlich zu machen, mit dem ich auf eine Tastatur eintippte. Hätte ich einen Arzt gehabt, der mich fragt, was mir fehlt, mir ein Rezept ausschreibt und mich dann wieder nach Hause schickt, wäre das alles keine Affäre gewesen. Aber leider ist es nicht so. Mein Arzt ist einer von der Sorte, die es nicht bei einer einfachen Behandlung bewenden lassen kann, sondern unbedingt will, dass man für seinen Versicherungsbeitrag auch etwas bekommt – sei es in Form von Zusatzfakten, eines Ausflugs oder eines Rezepts für Kleiemuffins. Schätzungsweise rangiert dieses Engagement unter der Kategorie »einen Schritt weitergehen als unbedingt nötig«, allerdings sehe ich den Sinn und Zweck nicht, wenn ich diejenige bin, die dabei die Laufarbeit leisten muss.
Es mag ja ganz nett sein, sich ein bisschen mehr ins Zeug zu legen als unbedingt notwendig, aber als ich mir irgendwann einen Darmvirus eingefangen hatte und klar war, dass ich die Hilfe eines Arztes brauchte, wollte ich nichts anderes als eine kurze Untersuchung, ein Rezept für ein Antibiotikum und so schnell wie möglich wieder ins Bett zurück. Und siehe da – er stellte mir nicht nur ein Rezept aus, sondern sogar gleich zwei und meinte, ich müsse nach unten in die Bibliothek, damit ich sie einlösen könne. Und dann drückte
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