Weg des Zorns 01 - Die Kriegerin
während er Alicia ›beobachtete‹.
»Also gut«, stimmte Alicia zu; sie sprach bewusst langsam und deutlich, sodass sie in ihren Ohren fast genauso klang wie die schleppende Stimme des Arztes. Dann stand sie auf.
Dieses Mal war sie deutlich vorsichtiger als beim letzten Versuch. Trotz aller Vorwarnungen, trotz aller Bemühungen seitens Dr. Hyde und dessen gesamten Stabes, ihr genau zu erklären, was nun geschehen würde, war Alicia bei ihrem ersten Versuch doch nicht ganz darauf vorbereitet gewesen, wie sich der Ticker tatsächlich auf sie auswirken würde. Auch damals hatte sie zunächst nur dort gesessen und war dann auf die Aufforderung des Arztes hin aufgestanden. Nur hatte sich bei jenem Mal das, was sie sonst mit sanften, gleichmäßigen Bewegungen auf die Beine hätte bringen sollen, in ein explosionsartiges Zucken verwandelt, fast einen Sprung. Alicia hatte das Gleichgewicht verloren und wäre beinahe vornüber gestürzt; hilflos hatte sie mit den Armen gerudert, um sich noch auf den Beinen halten zu können.
In dem Zeitgefühl, das ihr der Ticker vermittelte, waren ihr die Bewegungen ihrer Arme geradezu grotesk langsam erschienen, fast als befinde sie sich unter Wasser. Ihre Gliedmaßen kamen ihren geistigen Befehlen einfach nicht hinterher, und so erreichten sie auch nie rechtzeitig den Ort, an dem Alicia sie doch haben wollte. Und dann schossen sie auch noch an der eigentlich gewünschten Position vorbei, und das mit einer Geschwindigkeit und einem Schwung, den Alicia selbst noch nie zuvor erlebt hatte - und daher auch noch nie hatte kompensieren müssen.
Letztendlich hatte sie jedoch gelernt, damit umzugehen, und nun stand sie, ganz wie Dr. Hyde das von ihr verlangt hatte, gemächlich auf, trat einen Schritt von ihrem Sessel zurück und blieb dann in Rührt-Euch-Stellung in der Raummitte stehen. Kurz stand sie dort fast wie eine lebende Statue, entspannt hingen die Arme herab. Dann ging sie in die Grundstellung für den Nahkampf.
Alicia hatte die espada del mano, die beim Corps bevorzugte Technik des Nahkampfs, regelrecht lieben gelernt. Espada del mano war etwa zweihundert Jahre zuvor im Granada-System entwickelt worden: ein ›harter‹ Kampfstil, der sich durch unnachgiebige Aggressivität auszeichnete. Auch wenn er üblicherweise ohne jegliche Waffe ausgeübt wurde, gab es doch einige Techniken, bei denen Hilfsmittel zum Einsatz kamen, vor allem Klingenwaffen (oder deren Hightech-Äquivalente), und eigentlich brauchte ein Angehöriger der Marines diesen Kampfstil nur recht selten einzusetzen. Doch hin und wieder war es eben doch erforderlich, und das Corps hatte mit seiner Einschätzung ganz recht: Diese Kampftechnik vereinigte physische Konditionierung, geistige Disziplin und die ›Geisteshaltung des Kriegers‹. Abgesehen davon war der Spaß, der sich aus einem Vollkontakt-Übungskampf Mann gegen Mann ergab, kaum zu überbieten.
Im Gegensatz zu den Marines zog der Kader deillseag òrd vor, auch bekannt als ›der herabsausende Hammer‹. Trotz des deutlich aggressiveren Namens war deillseag òrd im Vergleich zu espada del mano der ›weichere‹ Kampfstil. Vielleicht wäre es treffender gewesen, zu behaupten, dieser Kampfstil sei ... ausgeglichener, umfassender. Deillseag òrd war im New-Dublin-System entwickelt worden und stellte eigentlich eine Synthese aus mindestens zwei oder drei Dutzend anderer Kampfsportarten dar. Hier gab es auch ein deutlich breiteres Spektrum von Techniken, bei denen Waffen zum Einsatz kamen, als beim espada, und es gab deutlich mehr Elemente, die dem ›weichen Pfad‹ entlehnt waren.
Alicia hatte gerade erst damit begonnen, die Möglichkeiten des deillseag òrd zu erkunden, und dass sie nun so lange im Krankenhaus hatte bleiben müssen, hatte ihr nur wenig Gelegenheit verschafft, sich darin zu üben. Sie vermutete, dass sie diese Kampftechnik langfristig sogar bevorzugen würde, sobald sie erst einmal dazu käme, sie richtig zu erlernen, doch vorerst war es wohl besser, sich an das zu halten, was ihr bereits vertraut war, und so begann sie eine espada ejercicio und konzentrierte sich ganz auf den Fokus, der dafür erforderlich war.
Endlich öffnete Hyde wieder die Augen. Immer noch beobachtete er seine Patientin mit Hilfe seines SynthoLinks, doch was sich ihm hier bot, wollte er unbedingt auch mit ›eigenen Augen‹ genießen. Das war etwas, das er schon immer genossen hatte, auch während er noch im aktiven Dienst des Kaders stand.
DeVries ist wirklich die
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