Weg des Zorns 01 - Die Kriegerin
sie, während das Wirkstoffgemisch ihr fast alle Zeit der Welt schenkte, diesen Flug mit allen Sinnen zu genießen. Sie war ein gewaltiger Nachtvogel, jagte über die Tannenbaum-See hinweg und hielt immer weiter auf Shallingsport zu, und trotz ihrer tatsächlichen Geschwindigkeit erschien ihr der Flug gemächlich, fast verträumt, während sie immer wieder auf ihr HUD zugriff, das die Bahn ihres Sinkflugs über den Ausblick auf die vorbestimmte Landezone in jenem kleinen Tal projizierte.
Auf diesem HUD waren auch die Icons sämtlicher anderen Mitglieder der Charlie-Kompanie zu erkennen, die zusammen mit ihr immer weiter auf die Halbinsel zuschwebten. Insgesamt tanzten vor Alicias geistigem Auge rings um sie zweihundertvierundsiebzig andere grüne Punkte, die zweihundertvierundsiebzig verschiedenen Flugbahnen folgten. Alicia verzog die Lippen zu einem wolfsartigen Grinsen, als sie immer weiter auf ihre Beute zustürzten.
Die digitale Zeitanzeige in Alicias HUD zählte immer weiter abwärts. Sie standen weniger als zwei Minuten vor der Landung, und Alicia spürte, wie sie sich innerlich anspannte und geistig schon auf die nächste Phase dieses Einsatzes vorbereitete. Es war nur ...
Sie erstarrte, als die Passivsensoren ihrer Panzerung ihr das Unmögliche meldeten. Alicia konnte den plötzlichen, peitschenden Ortungsstrahl des Radars unmittelbar über sich ›schmecken‹ - unmittelbar über der Landezone!
»Zulu! Zulu!«, rief Captain Alwyn plötzlich mit scharfer Stimme über das allgemeine Kommunikationsnetzwerk. »Aktive Sensoren in der Landezone! Landezone heiß! Ich wiederhole: Landezone heiß! Gehen Sie auf Zu ...«
Mit der Brutalität eines unerwarteten Axthiebs verstummte er, als mit einem Mal schwere Geschosse aus der Dunkelheit unter ihnen wie feurige Speere auf sie zuhielten. Plasmabolzen rasten mit unbändiger Wucht aus den Seitenwänden des Tales geradewegs in ihre Mitte, zerfetzten wie Pfeile aus Pech und Schwefel die mondlose Nacht, und mit entsetzlicher Geschwindigkeit verschwanden grüne Icons von Alicias HUD.
Ruckartig sprang Sir Arthur Keita aus seinem Sessel in der Nachrichtenzentrale der Marguerite Johnsen auf, als die ersten, unfasslichen Taktik-Daten von der Charlie-Kompanie eintrafen.
»Großer Gott!«, platzte irgendjemand heraus. »Was zum T ...?«
Der unbekannte Sprecher verbiss sich den Rest seines Fluchs, doch Keita hatte ihn nicht einmal bemerkt. Er hatte die Augen fest zusammengekniffen und konzentrierte sich voll und ganz auf sein eigenes NeuroLink, das ihn mit den Computern verband; ungläubig beobachtete er, wie sich etwas, das eine ruhige, unbemerkte Landung hätte sein sollen, in ein blutiges Chaos verwandelte.
Etwas Derartiges hatte Alicia DeVries noch nie erlebt. Sie hatte schon Trainings-Szenarien mit einem Hinterhalt absolviert, doch es waren eben nur Übungs-Szenarien gewesen, so realistisch sie auch gewirkt haben mochten.
Dies hier war keine Übung, und allmählich breitete sich unendliches Entsetzen in ihr aus, als Captain Alwyns grünes Icon sich plötzlich rot färbte und er keinerlei Signale mehr sendete. Fast im gleichen Moment geschah mit Lieutenant Strassmanns Icon das Gleiche, ebenso mit dem von Lieutenant Paál, und immer noch rasten zahllose gleißende Plasma-Schüsse in den Himmel hinauf.
Nicht einmal der Kader konnte einen derartigen Schaden an seiner Kommandostruktur verkraften, ohne dabei den Überblick zu verlieren. Die KI von Alicias Panzerung versuchte nach Kräften, zu ermitteln, wer eigentlich gerade das Kommando innehatte, doch dieser erbarmungslose Hurrikan der Zerstörung, der ihre vorbestimmte Landezone umwirbelte, riss ihre Kameraden einfach zu schnell in den Tod. Ein Teil von Alicias Verstand beobachtete fassungslos, wie der goldene Kreis, der den jeweiligen Befehlshaber des Einsatzes markierte, wie wild über ihr HUD tanzte und vergeblich versuchte, sich auf ein einzelnes Icon festzulegen. Doch jedes dieser Icons wurde rot, bevor der Kreis es auch nur erreichte, und der Effekt der Zeitdehnung, den Alicia immer noch dem Ticker zu verdanken hatte, machte den Schock, den sie hier durchlebte, nur noch schlimmer.
Doch obwohl in der Einheit Chaos herrschte, breitete sich keine Panik aus. Dafür hatte das harte, erbarmungslose Training des Kaders gesorgt. Wer sich für den Kader qualifizierte, verfiel einfach nicht in Panik, und die endlosen Trainingsstunden machten sich bezahlt, als automatische Reaktionen, die man allen Angehörigen der
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