Weg des Zorns 02 - Der Zorn der Gerechten
Derartiges gesehen.«
»Was meinen Sie mit ›etwas Derartiges‹?«
Der Blick des Inspectors verriet, wie sehr ihn diese Angelegenheit faszinierte, und Keita zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß es nicht«, wiederholte er. »Und die alle auch nicht, und es wäre mir deutlich lieber, wenn es anders wäre.« Er rieb sich über die Oberlippe. »Ich weiß ja, dass die Wissenschaft noch nie reproduzierbar irgendetwas wie zuverlässige, trainierbare, außersinnliche Wahrnehmung bei Menschen belegen konnte, aber was, wenn Alley in genau so etwas hineingestolpert ist? Wir wissen, dass die Quarn über eingeschränkte Intraspezies-Telepathie verfügen - könnte Alley vielleicht irgendeinen bislang ungenutzten Teil ihres Gehirns aktiviert haben? Hat sie vielleicht irgendeine latente Fähigkeit der Menschen gefunden, die wir bislang niemals haben isolieren können? Und wenn ja: Ist das etwas, das jeder erlernen könnte? Würde es einen anderen Menschen, wenn man diese Fähigkeiten aktivierte, ebenfalls den Verstand verlieren lassen? Und was ist, wenn sie noch andere Fähigkeiten hat - von denen sie selbst noch nichts weiß -, die sich bemerkbar machen, wenn sie neuerlichem Stress ausgesetzt wird?«
Der Inspector öffnete schon den Mund, um etwas anzumerken, doch dann schloss er ihn wieder, als ihm bewusst wurde, was Keitas eigentliche Sorge war. Natürlich war das alles reine Phantasterei. So besonders die Angehörigen des Kaders auch sein mochten, sie waren keine Götter. Selbst Keita war bereit, einzugestehen, dass manche mit dem Druck einfach nicht mehr fertig wurden, und Ben Belkassem war noch nie einem Menschen begegnet, der mehr das Recht dazu gehabt hätte, einfach zusammenzubrechen, als Alicia DeVries, also ...
Plötzlich gerieten seine Gedanken ins Stocken. Sie hatte das Recht, zusammenzubrechen, doch zumindest in einer Hinsicht hatte Keita ganz recht, diese einfache und tröstliche Antwort ließ andere Fragen unbeantwortet. Wie hatte sie überleben können, wie hatte sie ungeschützt Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes überstehen können, noch dazu derart schwer verwundet? Und warum hatten die Sensoren der Navy sie nicht entdeckt, bis irgendjemand tatsächlich gelandet war, um die Toten zu identifizieren?
Konnte doch irgendetwas an dieser Vorstellung stimmen, es könne eine zweite Wesenheit geben? Es musste ja nicht gleich ein Dämon aus der griechischen Mythologie sein, oder irgendeine Halbgöttin, bloß weil es DeVries genau das glauben machen wollte, aber Mathisons Welt lag wirklich ganz am Grenzbereich des bekannten Raumes. Niemand hatte jemals etwas Derartiges beobachtet, aber die Möglichkeit, dass irgendetwas Neuartiges existierte, ließ sich dadurch nicht gänzlich ausschließen. So bizarr das, was DeVries behauptete, auch sein mochte, niemand hatte bislang eine Erklärung vorbringen können, die weniger bizarr gewesen wäre, und es gab das alte Axiom, dass die einfachste Hypothese, die sämtliche bekannten Fakten zu erklären vermochte, mit größter Wahrscheinlichkeit auch stimmte ...
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, nestelte an seiner Kaffeetasse herum, und sein Blick wirkte sehr, sehr nachdenklich.
Die Klingel ertönte, und augenblicklich glitt die Luke zur Seite. Im Eingang zögerte Ben Belkassem kurz; er war erstaunt, wie rasch auf sein Klingeln reagiert worden war. Dann blickte er sich in der kleinen, sauberen Kabine um und sah die Frau, die er hier besuchen wollte.
Dort saß Alicia DeVries, die linke Hand ungeschickt gegen ein gewöhnliches Interface-Headset gepresst; sie schien ins Nichts zu blicken. Sie wandte sich der Tür zu, ohne ihren Besucher wirklich zu sehen, und jetzt erkannte Ben Belkassem auch die ausdruckslose Mimik. Sie hatte Verbindung zum Datensystem des Transporters aufgenommen, und der Inspector hob erstaunt die Augenbrauen. Er hatte gedacht, sämtliche ihrer Computer-Links seien mittlerweile deaktiviert.
Allmählich bemerkte Alicia seine Anwesenheit, und sie kniff kurz die Augen zusammen.
»Komm zurück!« Eine ungeduldige Weigerung durchzuckte ihren Verstand, und so formulierte sie ihren nächsten Gedanken ›lauter‹. »Wir haben Besuch, also komm wieder zurück!«
»Na gut.« Von einem Moment auf den anderen befand sich Tisiphone wieder ganz in Alicias Verstand, und die körperlose Stimme der Furie glomm wieder vor Energie - wie jedes Mal, wenn sie auf Erkundungstour in die Schiffscomputer ging. Sie hatte Wege zu den unvorstellbarsten Orten gefunden
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