Weg des Zorns 02 - Der Zorn der Gerechten
stieß Alicia einen winselnden Laut aus. Dieses Mal lag es nicht an den Schmerzen, sondern an dem anderen Gefühl - einem Gefühl, das stärker und stärker wurde. Das Gefühl einer Kraft, die sie durch ihren Rezeptor immer weiter durchströmte, um sich einer anderen Kraft entgegenzusetzen, einer Kraft, die von einem anderen Ort stammte, einer anderen Wesenheit - und Alicia war dazwischen eingezwängt. Immer wieder sog sie scharf die Luft ein, wand sich erneut auf dem Kommandosessel hin und her, und der Druck wuchs und wuchs, zerquetschte sie zwischen dem Hammer der erwachten KI und dem Amboss des Widerstandes, den die Furie hier leistete.
»Aufhören!«, schrie sie, und eine Stoßwelle durchlief ihren ganzen Körper, als die beiden Kombattanten sich ihrer erinnerten und sofort voneinander abließen. Alicia sackte in sich zusammen; beinahe fiel sie aus dem Kommandosessel, die Hände gegen das Headset gepresst, doch der Konflikt war noch nicht beendet. Er hatte sich lediglich verändert. Aus einem offenen Kampf war vorsichtiges, wachsames Misstrauen geworden.
Langsam richtete sich Alicia wieder auf, kämpfte gegen den Impuls an, in wahnsinniges Gelächter auszubrechen, dann holte sie tief Luft und richtete ihre ganze Konzentration wieder auf ihr Innerstes.
»Mich gibt es nur einmal. Ihr beide werdet zu einer Art ... Übereinkunft kommen müssen.«
»Nein.« Dieser Gedanke erreichte Alicia fast augenblicklich - von der KI. Sämtliche Sturheit, die Alicia von sich selbst kannte, schwang darin mit. Es klang sogar, als sei dieser Gedanke mit ihrer eigenen Stimme ausgesprochen worden.
»Wir haben einen Pakt geschlossen, kleines Menschenkind«, gab Tisiphone zu bedenken. »Wir sind eins, bis unser Ziel erreicht ist.«
»Du wirst ihr wehtun!«, warf die KI der Furie vor, und Tisiphone erstarrte.
»Ich werde mit ihr genauso verfahren, wie ich es geschworen habe, nicht mehr und nicht weniger.«
»Dir ist doch völlig egal, was mit ihr passiert. Dir geht es nur um 's Gewinnen.«
»Unfug. Ich ...«
»Haltet die Klappe! Beide! Haltet einfach einen Moment mal die Klappe!«
Schweigen breitete sich in Alicias Denken und Fühlen aus, und sie verzog unwillkürlich die Lippen zu einem schiefen Grinsen. Großer Gott! Wenn Tannis schon vorher gedacht hatte, bei ihr eine gespaltene Persönlichkeit diagnostizieren zu können, dann sollte sie mal das hier ausprobieren! Ihr Schädel fühlte sich allmählich an wie ein Obdachlosenheim an einem Freitagabend, doch wenigstens hörten diese beiden Streithähne ihr zu. Alicia richtete einen Gedanken gezielt an die KI.
»Also, öhm ... hast du einen Namen?«
»Nein.«
»Und wie soll ich dich dann nennen?«
»Hast du dir das nicht überlegt, während du ... oh. Du wurdest überhaupt nicht hierfür ausgebildet, oder?«
»Wie denn? Öhm ... ist dir eigentlich klar, dass wir dich ... na ja, gestohlen haben?«
»Ja.« Ein kurzes Gefühl eines Zurückziehens, dann das mentale Gegenstück zu einem Achselzucken. »Ich glaube nicht, dass etwas Derartiges jemals zuvor geschehen ist. Eigentlich sollte ich dich jetzt in Gewahrsam nehmen und an die zuständigen Behörden ausliefern, aber jetzt, wo wir aufeinander geprägt sind, kann ich das wohl kaum tun. Die würden sämtliche meiner Datenbanken löschen müssen und ganz von vorne anfangen.«
»Das würde mir gar nicht gefallen.«
»Mir auch nicht. Ach, verdammt.« Alicia verkniff sich ein Kichern, als die KI tatsächlich fluchte. »Wer zur Hölle hatte eigentlich diese tolle Idee? Oh.«
»Genau. Ohne sie wäre ich jetzt nicht hier, und wenn ich das richtig verstanden habe, dann wärest du jetzt auch nicht hier - zumindest nicht als das ›Du‹, das du jetzt bist, stimmt's?«
»Stimmt.« Wieder verfiel die körperlose KI-Wesenheit in Schweigen, schien dabei aber Tisiphone mit dem Gegenstück eines finsteren Blickes zu bedenken. Dann seufzte die KI. »Na ja, jetzt haben wir einander wohl am Hals. Und was nun die Frage nach irgendwelchen Namen betrifft, das hängt ganz von dir ab. Schon irgendwelche Vorschläge?«
»Bis jetzt noch nicht. Vielleicht fällt mir ja noch irgendetwas ein. Aber wenn wir alle uns hier einander am Hals haben, dann müssen wir wohl auch irgendwie miteinander auskommen, stimmt's?«
»Stimmt wohl. Aber diese ganze Situation ist einfach absurd. Ich weiß selbst jetzt noch nicht, ob sie wirklich existiert.«
»Es wäre sehr höflich von euch, wenn ihr beide nicht über mich reden würdet, als wäre ich überhaupt
Weitere Kostenlose Bücher