Wege des Herzens
Nora Dunne auf. Natürlich wurde sie inzwischen von allen nur noch liebevoll Signora genannt. Vor ihr stand der Direktor der Schule, der gewartet hatte, bis die Italienischstunde zu Ende war.
»Oh, Tony, ich habe dich gar nicht gesehen. Für einen kalten Februarabend war es ziemlich voll.«
»Wie geht es Aidan?«
»Ach, so weit ganz gut, Tony. Seine Mädchen kümmern sich sehr um ihn. Heute Abend ist Brigid bei ihm, und du weißt, dass Grania morgen kommt, wenn ich zu meiner Mutter gehe, so dass er eigentlich nie allein ist. Er ist wieder richtig in Form.«
»Ich würde ihn ja gern besuchen, nur …« Tony O’Brien machte eine Pause.
»Ich weiß. Ich weiß genau, was du meinst. Er würde deinen Besuch nur als Aufforderung auffassen, so bald wie möglich wieder zu arbeiten anzufangen.«
»Ich will aber nicht, dass er wieder in diese brutale Tretmühle zurückkehrt, Signora. Ich werde alles versuchen, dass er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wird …«
»Ach, Tony, du kennst doch Aidan«, erwiderte Nora seufzend.
»Deshalb hatte ich ja gehofft, dass du mir helfen könntest«, meinte er.
»Aidan ist kein kleines Kind mehr, er ist ein erwachsener Mann. Aber alle verlangen von mir, dass ich ihn behandle, als sei er nicht mehr ganz richtig im Kopf. Dabei sind es seine Herzkammern, die vergrößert sind. Sein Verstand funktioniert noch recht gut, und er ist fest entschlossen, wieder in die Schule zurückzukehren.«
»Und du willst nichts dagegen tun?«
»Ich werde den Stress für ihn nicht noch vergrößern, indem ich zu Hause auch noch an ihm herumnörgle«, erwiderte Nora verärgert.
»Ich könnte die Angelegenheit für ihn regeln«, bot Tony an.
»Du kennst Aidan, er würde hinter allem nur Mitleid vermuten, obwohl es nicht so gemeint ist.« Für Nora Dunne war die Sache klar. Ihr Mann musste wieder zu seiner Arbeit zurück.
Als Tony O’Brien an diesem Abend nach Hause kam, machte Grania einen ziemlich aufgeregten Eindruck, und er fragte sich, ob sie vielleicht ein exotisches Urlaubsziel für Ostern gefunden habe. Hoffentlich nicht, dachte er, in der Mountainview-Schule gab es über die Osterferien jede Menge zu tun.
Grania hatte den Tisch gedeckt und eine Vase mit Blumen in die Mitte gestellt. Gott – er hatte doch nicht einen Jahrestag oder Ähnliches vergessen? Nein, natürlich nicht. Normalerweise passierte ihm so etwas nicht. Fragend sah Tony seine Frau an.
»Setz dich, Tony«, sagte sie.
Gehorsam nahm er Platz.
»Ich habe sehr gute Neuigkeiten«, fuhr sie fort. »Wir sind schwanger. Es ist offiziell, Tony, wir bekommen ein Baby!«
Und zu seiner größten Überraschung brach Tony in Tränen aus. Er schluchzte heftig, seine Schultern zuckten, und er konnte sich kaum mehr beruhigen.
»Bist du denn nicht glücklich?«, fragte Grania ängstlich und schlang die Arme um ihn.
»Nicht
glücklich?
Ich bin
außer
mir vor Glück«, stieß er schluchzend hervor.
Brigid erzählte ihrem Vater, dass sie einen Mann kennengelernt habe. Für ernsthafte Absichten sei es zwar noch zu früh, aber zum ersten Mal habe sie jemanden getroffen, mit dem sie sich vorstellen könne, den Rest ihres Lebens zu verbringen.
Aidan freute sich ungemein.
Sie hatte diesen Mann vor ein paar Monaten bei einem Pressetermin kennengelernt und war mit ihm ins Gespräch gekommen. Sie hatten beide beruflich dort zu tun gehabt; sie hatte die Wintersportangebote ihres Reisebüros präsentiert, und Kato war für das Catering verantwortlich gewesen. Als alle anderen schon längst gegangen waren, waren sie noch geblieben und hatten lange miteinander geredet. Kato war gerade dabei, ein Geschäft für Kunstobjekte aus Afrika zu eröffnen. Seit diesem Abend war Brigid jede Woche mit ihm ausgegangen. Sie mochten die gleichen Filme und die gleichen Theaterstücke. Nun wurde es allmählich Zeit, ihn ihrem Vater und Nora vorzustellen.
»Und was sagt deine Mutter dazu?« Aidan wusste, dass seine Töchter hin und wieder Kontakt zu Nell hatten.
»Oh, Mutter hat ihn bisher noch nicht kennengelernt«, erwiderte Brigid resolut.
»Tatsächlich? Warum nicht?«
»Kato ist Marokkaner, Dad«, sagte Brigid, als hätte er eigentlich von selbst darauf kommen müssen. »Stell dir mal vor – Mam und ein Afrikaner.«
Als Nora nach dem Italienischunterricht nach Hause kam, erfuhr auch sie die Geschichte von Brigid und Kato.
»Woher aus Marokko kommt er denn?«, fragte Nora interessiert.
»Aus Marrakesch«, erwiderte Brigid
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